Wie begann das Projekt ? Wieso fotografierten Sie ausgerechnet Bauarbeiter der Baustelle “Santral Istanbul” und Frauen, die nach Deutschland auswandern wollen?

Eigentlich war ich wegen einer anderen Arbeit auf der Baustelle gewesen und hatte eher zufällig ein paar wenige Arbeiter fotografiert. Als ich zu Hause Zeit hatte, die Bilder genauer zu betrachten, war die Entscheidung leicht: Das für mich wichtige Projekt dieser Baustelle sind die Bilder der Arbeiter. Als ich ihre Gesichter sah,

dachte ich: Sie können dem Betrachter etwas erzählen, etwas, was er nicht so häufig erfährt, etwas, was er nicht so häufig sieht. Schliesslich erfuhr ich noch, dass die Arbeiter aus allen Regionen der Türkei kamen.

Die Ausstellung heisst: “Gesichter der Türkei”, aber es sind nur Portraits von Bauarbeitern und einigen Frauen. Haben sie auch vor, mit anderen gesellschaftlichen Gruppen der Türkei zu arbeiten ?

Manche Besucher der Ausstellung kritisieren in unserem Gästebuch, wieso ich nicht “bedeutende” Türken aufgenommen hätte, mit “schönen Gesichtern”. Ich halte Menschen, die in ihrem Land hart arbeiten, um ihre Familie zu ernähren, für bedeutend. Ich persönlich halte sie für sogar für bedeutender als manchen Schlagersänger oder TV Star. Ich halte auch alle ihre Gesichter für “schön”. Spricht mich ein Besucher mit dieser Kritik an, bitte ich ihn meist, mir ein Gesicht zu zeigen, das er hässlich findet – und mir zu erklären, was daran hässlich ist.

Natürlich arbeite ich an Projekten mit anderen Menschen und Gruppen der Türkei. Wie will man ein Land kennenlernen, wenn man ihre Menschen nicht kennelernt. Dabei lernt man natürlich immer nur etwas Bestimmtes, einen bestimmten Ausschnitt kennnen. In der Türkei leben rund 70 Mio Menschen unterschiedlichen Alters, mit den verschiedensten Berufen, Reiche und Arme. Ein Kollege hatte gerade an einem Projekt gearbeitet: 100.000 Portraits ! Wer alle 100.000 Bilder gesehen hat, der hat aber 69 Millionen 900.000 noch nicht gesehen. Ich versuche das zu tun, was mir möglich ist: Ich nehme mir an bestimmten Ort Zeit, und schaue genauer hin. Vielleicht gelingt es mir so, etwas sichtbar zu machen, das auf den ersten Blick nicht sichtbar war. Deshalb war ich auch nach der Arbeit auf einer bestimmmten Baustellte auf der Suche nach einem Ort, an dem ich möglichst verschiedene Frauen aus unterschiedlichen Regionen der Türkei treffen könnte.

Was hat Sie am persönlichen Schicksal der Frauen, die nach Deutschland auswandern wollen, am meisten bewegt, als Sie sie fotografierten. Gibt es noch andere “Gemeinsamkeiten” zwischen diesen Frauen – ausser, dass sie zusammen deutsch lernen ?

Was ich bisher sagte, zeigt, dass die beiden Projekte, die Portraits der Arbeiter und die der Frauen, die Deutsch lernen, zunächst nicht sehr viel miteinander zu tun haben. Um zu unterstreichen, dass beide Projekte sehr unterschiedlich sind, habe ich sie auch mit verschiedenen Fotoapparaten und verschiedenen Objektiven aufgenommen – und sie haben auch eine unterschiedliche “Farbe”.Die Lebenumstände der Männer und Frauen und wohl auch ihre Pläne für die Zukunft, sind sehr verschieden. Gerade die Frauen aber, von der ja jede auch ein ganz eigenes persönliches Schicksal hat, wagen alle den gleichen Schritt: Sie wollen ihre Familie und Freunde verlassen, in ein Land auswandern, das sie meist nicht kennen, dessen Sprache sie nicht sprechen, mit dessen Kultur und Lebensweise sie nicht vertraut sind und das mit einem Ehemann zusammen, den sie vielleicht auch noch nicht sehr gut kennenlernen konnten. So ein Schritt erfordert viel Mut. So unterschiedlich das einzelne Schicksal der Frauen ist, so viel verbindet sie wohl auch. Das zeigt auch die unterschiedliche Atmosphäre, die die Gesichter der Frauen und die der Männer wiedergeben. Im übrigen denke ich, sollte sich der Fotograf mit Kommentaren zu Bildern, die er selbst aufgenommen hat, zurückhalten. Sobald die Fotos gedruckt sind und für eine Ausstellung ausgewählt, “gehören” sie dem Betrachter und es ist an ihm, sie zu kommentieren.

Wie kamen Sie in Kontakt mit diesen Frauen – war das schwierig ? Können Sie darüber etwas sagen ?

Die Frauen zu finden war einfach – oder vielleicht genauso zufällig, wie die Entstehung der Portraits der Bauarbeiter. Ich hatte – eher nebenher – mit verschiedenen Bekannten und Freunden darüber gesprochen, wo man einen Ort finden kann, an dem man Frauen aus unterschiedlichen Regionen des Landes treffen könnte. Und da sagte Frau Hahn-Raabe, die Leiterin des Goethe-Institutes: Komm’ doch zu uns. In unsere Sprachkurse kommen Frauen aus allen Landesteilen.

Wenn Sie an die Idee, “Auszuwandern” ( so wie die Frauen nach Deutschland auwandern wollen ) denken, ist diese Idee Ihrer Meinung nach eher ein Zeichen von Pessimismus – oder von Hoffnung ? Was ist Ihrer Aufassung nach der entscheidende psychologische Grund für den Wunsch, auszuwandern ?

Könnte man sagen, das Projekt ist ein Versuch, Mitgefühl zu wecken mit den Auwanderern ?

Ich glaube, über diese Fragen sprechen Sie besser mit den Lehrern, die monatelang mit den Schülern und Schülerinnen zusammen sind Es sind übrigens mehr Männer in den Kursen als Frauen. Ich selbst hatte nie die Absicht, ein “politisches” oder “sozialpsychologisches” Projekt mit diesen Aufnahmen zu verwirklichen. Aber sobald sie mit Menschen arbeiten, Menschen aufnehmen, gewinnt ein Projekt leicht eine Dimension, an die man vorher gar nicht dachte.

Wie lange hat es gedauert, diese Projekte zu realisieren ?

Alles in allem hat jedes der Projekt rund ein Jahr in Anspruch genommen. Das heisst deshalb nicht, dass sie 365 Tage lang 8 Stunden daran arbeiten. Gerade bei den Aufnahmen ergaben sich immer wieder grössere Pausen, in der Schule waren z.B. Ferien, Prüfungen, die Kurse hatten neu begonnen und die Lehrer baten darum, die Schüler in den ersten Wochen nicht zu stören etc.

Wir dies Ausstellung auch in Städten in Deutschland oder andern europäischen   Städten gezeigt ?

Im vergangenen Jahr wurde die Ausstellung, die jetzt in Beyoglu zu sehen ist, in rd 10 Städten der Türkei gezeigt. Da die Galerie der Stadtverwaltung in Istanbul die grösste ist, können in Istanbul auch mehr Portraits gezeigt werden, als in den anderen Städten. Ausstellungen in anderen europäischen Ländern stehen bisher noch nicht fest. Ich fände es schon schön, wir fänden einen Sponsor, der uns beim Druck eines Kataloges mit den Portraits behilflich wäre, sodass diese Portraits später nicht in einem Archiv verschwinden.

Wie war die Reaktion der Besucher der Ausstellung bisher ? Gab es unterschiedliche Reaktionen von deutschen und türkischen Betrachtern der Fotos?

Wir hatten bei allen Ausstellungen ein dickes Gästebuch ausliegen – und inzwischen ist es vollgeschrieben mit unterschiedlichsten Reaktionen der Besucher. Es wäre nicht redlich, wenn ausgerechnet ich als Fotograf dieser Ausstellung daraus nun ein paar Bemerkungen aussuchen würde. Unterschiedliche Reaktionen von deutschen und türkischen Besuchern konnte ich nicht feststellen. Die meisten Betrachter der Fotografien waren natürlich aus der Türkei.

Sie leben inzwischen seit vielen Jahren in Istanbul und fotografieren die Stadt und ihre Menschen. Wie würden sie Istanbul vom Blickwinkel eines Fotografen aus beschreiben ?

Vor dieser Frage stehe ich genauso ratlos, wie wenn mich ein Bekannter aus Deutschland fragt: “Wie ist die Türkei denn so”? Deshalb hatte ich vor wenigen Jahren in einem Buch die Portraits von verschiedenen Menschen der Türkei gezeigt und ihre Geschichte gezählt, von einem Scheich im Osten der Türkei und einem Modeschöpfer in Istanbul, von einem Schäfer in den Bergen, einer Derwischin und eine Archäologie-Professorin. Die Türkei und Istanbul ist an jeder Ecke anders, immer wieder neu – und gäbe es nicht ständig Neues zu entdecken, wäre ich vielleicht auch nicht so lange am Bosporus geblieben.

18. April 2010