An der Türkei scheiden sich hierzulande die Geister. Genauer gesagt an der Frage, ob die Türkei Mitglied der Europäischen Union werden soll. Antworten und Meinungen dazu hat fast jeder, aber bei Licht besehen wissen die wenigsten auch nur einigermaßen Bescheid über das Land an der europäischen Grenze zu Kleinasien. Abhilfe kann da vielleicht das neue Buch von Dieter Sauter schaffen,

der lange Jahre Korrespondent für die ARD in Istanbul war. „Türkisches Roulette. Die neuen Kräfte am Bosporus“ ist der Titel. Der klingt ziemlich reißerisch…

... aber zum Glück hält das Buch nicht, was der Titel befürchten lässt. Sauter hat ein nachdenkliches Buch geschrieben, in dem er vor allem Türken zu Wort kommen lässt. Grundlage sind ausführliche Gespräche, die Sautter in verschiedenen Teilen des Landes geführt hat. Seine Gesprächspartner kommen aus den unterschiedlichsten Bereichen der Gesellschaft. Sie sind Restaurantsbesitzer oder Meinungsforscher, Offizier oder Polizist, Menschenrechtler und Anwalt, Parkplatzbetreiber, Journalist usw.

Sauter fasst zusammen, was er von ihnen erfahren hat, ergänzt, beschreibt den jeweiligen Komplex. Er erhebt nicht den Anspruch, alles umfassend darzustellen und arbeitet doch Elementares oder Wesentliches heraus. Gelegentlich endet das einzelne Kapitel im Interview. Das ist auch formal eine gute Lösung, macht das Buch abwechslungsreich und sehr gut lesbar. Spannend ist es ohnehin.

Inwiefern?

Man lernt als Mitteleuropäer eine doch sehr fremde Welt kennen die sich nicht erschließt, wenn man sie zu oberflächlich und nur mit unseren Maßstäben betrachtet.

(...) Zugleich erfahre ich in diesem Buch viel über die Türkei was sie berechenbarer macht. Die Entwicklung der Armee und die der AKP machen eher den Eindruck, dass die Türkei an Stabilität gewinnt und nicht zum unkalkulierbaren Risikofaktor für Europa wird. Titel und Inhalt harmonieren also nicht besonders. Ein kluges und lesenswertes Buch für alle politisch Interessierten. (Wolfgang Niess)

04.08.2008