Syrien bombardieren? Waffen an die Kurden liefern? Wie mit Putin umgehen? Fragen über Fragen – nur von der Türkei spricht keiner? Wieso ? Spielt Ankara in diesen Konflikten keine Rolle? Kommt es auf die Türkei nicht an ?

 

Während die Nachbarländer Syrien und Irak mit jedem Tag mehr im Chaos des Krieges versinken und Millionen Syrer und Kurden nicht wissen, wohin sie sich in Sicherheit bringen sollen, während der Krieg in der Ost-Ukraine sich immer gefährlicher zu einem Konflikt zwischen Russland und dem Westen zuspitzt - feiert die Türkei.

Nach der glanzvollen Zeremonie zur Vereidigung des neuen Staatspräsidenten Tayyip Erdogan gedenkt das Land heute, am 30.August, wie jedes Jahr mit Militärparaden und Empfängen des Sieges der türkischen Truppen unter Mustafa Kemal Atatürk. Er konnte nach dem 1. Weltkrieg die Pläne Großbritanniens, Frankreichs und Russlands vereiteln, die das Territorium am Bosporus aufteilen wollten.

Das wäre nicht erwähnenswert, wenn es nicht auch beschreiben würde, wo das Land in den aktuellen Konflikten steht – nämlich abseits. Die Türkei ist – neben Tel Aviv - angeblich der engste Verbündete der USA in der Region. Sie ist Mitglied der NATO, will Mitglied der EU werden Sie hat engste Kontakte mit Russland und ist Frontstaat im Krieg gegen Assad und die ISIS. Trotzdem: Kaum einer erwähnt Ankara, keiner der Experten in den unzähligen Diskussionsrunden und auch kaum einer der Politiker landauf und landab.

Spielt Ankara in all diesen Krisen und Konflikten keine Rolle ? Kommt es auf die Türkei nicht an? Washington entsandte zur Vereidigung Tayyip Erdogans nur seinen Charge d’Affaire aus seiner Botschaft in Ankara, ein Diplomat der im Rang bald nach dem Pförtner kommt. Von der EU war gerade mal aus Bulgarien ein hochrangiger Vertreter der Regierung erschienen.

Berlin war mit Innenminister DeMaziere vertreten. Wer sich wundert, was der deutsche Innenminister auf dieser Feier zu suchen hatte: Zumindest Berlin liess erkennen: Man weiss, wie dringend die Türkei in all diesen Konflikten eingebunden werden muss. Offiziell war Lothar DeMaziere auch nach Ankara gereist, um über das Abhören der Türkei durch den Bundesnachrichtendienst (BND) zu sprechen. Tatsächlich aber ist gerade jetzt eine enge Zusammenarbeit der EU mit dem türkischen Geheimdienst unerlässlich. Anders wird der rege Reiseverkehr von angeworbenen IS-Kämpfern aus Europa über die Türkei nach Syrien und dem Irak – und zurück ! – nie zu kontrollieren sein.

Der Deutsche Bundestag wird wohl beschliessen, wie andere EU Länder an die Kurden Waffen zu liefern. Was aber wird daraus, wenn zuvor nicht mit Ankara über ein politisches Konzept für diese Region gesprochen wird ? Wie soll die Region nach Ansicht der Waffenlieferanten nach dem Krieg gegen die ISIS denn aussehen? Wer soll da wo regieren? Wie soll Ankara einen Plan zur Entwaffnung der PKK durchsetzen, wenn EU Länder Waffen an die Kurden im Nordirak schicken ? Und nicht nur die EU Länder schicken Waffen in den Nordirak – der Iran hat damit bereits begonnen. Was kaum einer sagt: Wer Waffen liefert, riskiert nicht nur, dass die in falsche Hände geraten. Er überlässt damit auch dem Empfänger die Entscheidung, was er damit künftig macht. Der entscheidet schliesslich über die Kriegsziele. Für Ankara ist das mehr als ein Anlass zur Unruhe. Libyen z.B. versinkt so gerade in der Anarchie.

Zweifellos ist die Türkei kein leicht zu überzeugender Verbündeter. Der deutsche Aussenminister meinte vor zwei Monaten am Bosporus: Die Türkei sei halt „nicht immer ein leichter Partner“. Man sei beim Thema Syrien und Irak nicht ganz einer Meinung.

Selbst beim NATO Partner Ankara sprechen viele von den „unberechenbaren“ Türken. Monatelang blockierte Ankara z.B. die militärische Zusammenarbeit der NATO mit ihren mehr als vierzig Partnerländern, weil dazu auch Israel gehört. Letztes Jahr wollte die Türkei der Bundeswehr bei ihrem Abzug aus Afghanistan verbieten, Waffen auf türkischem Territorium umzuladen. Seit über einem Jahr nervt die Türkei die NATO mit Verlautbarungen, sie werde ein Raketenabwehrsystem aus China kaufen – obgleich jeder weiss, China hätte bei der Installation dieses Systems automatisch Zugriff auf empfindliche Daten der NATO.

Im Konflikt zur Ukraine tauchen zudem erstaunliche Analysen am Bosporus auf. Das der Regierung eher nahestehende Forschungsinstitut BILGESAM veröffentlichte vor wenigen Tagen eine Studie zur NATO. Ergebnis: Der sog. russische Neoimperialismus sei im Kern defensiv und richte sich nur gegen den wachsenden Einfluss Europas. Es sei unwahrscheinlich, dass die russische Föderation die Sicherheitsinteressen der NATO berührt.

Bekanntlich beteiligt sich Ankara auch nicht an den Sanktionen der EU gegenüber Russland. Schließlich haben sich die Türkei und Russland im Juli geeinigt, beim bilateralen Handel den US-Dollar durch den Rubel und die türkische Lira zu ersetzen.

Die Reaktion des Westens ? Intensive Beratungen mit Ankara ? Die Aussenpolitik der USA in der Region war noch nie so schwach, wie gerade jetzt. US Aussenminister Kerry war nicht einmal bei der Einigung Israels mit der Hamas über einen Waffenstillstand vor Ort. Mit Tayyip Erdogan habe Barack Obama zum letzten Mal vor zwei Monaten telefoniert, so das Weisse Haus. Die EU Aussenpolitik sieht kaum anders aus.

Dabei droht die Türkei ins Trudeln zu geraten. Schon jetzt sind die wirtschaftlichen Folgen der Kriege in den beiden Nachbarländern beachtlich. Die türkischen Exporte in den Irak sind laut Zeitungsberichten inzwischen um fast die Hälfte eingebrochen. Der Irak war das zweitwichtigste Exportland für Ankara mit einem Volumen von rund 12 Mrd USD. Während sich Berlin besorgt zeigt, weil dieses Jahr schon 80.000 Asylanträge gestellt wurden, traf sich die Regierung in Ankara letzte Woche zu einer Krisensitzung, und stellt fest, man müsse damit rechnen, dass mehr als eine Million syrische Flüchtlinge wohl auf Dauer in der Türkei bleiben werden. (siehe auch Artikel: „Wir wollen keine Syrer“) Hilfen aus Europa? Spärlich.

Was, wenn nun die Kämpfe auch im Irak außer Kontrolle geraten? Wie will Europa mit der Krisenregion Mittlerer Osten fertig werden, wenn auch noch die Türkei immer unsicherer wird, das einzige Land in der Region, in dem die Waffen noch schweigen?