Dieter Sauter
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War es furchtbar oder furchtbarer ?

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Erstellt: 31. Mai 2016

Der Deutsche Bundestag verabschiedet eine Resolution, in der das Massaker an den Armeniern ‚Völkermord‘ genannt wird. Was heisst das ?

 

 

War es nun Völkermord oder nicht, das was die Türken den Armeniern 1915 angetan haben? Die meisten Historiker sagen, es war Völkermord.


Die offizielle Türkei sagt, es seien 500.000 Menschen ums Leben gekommen, Viele Armenier behaupten, es seien bis zu 1,5 Millionen gewesen. Sind nicht 500.000 Opfer schon schlimm genug. Natürlich sind 1,5 Millionen schlimmer. Aber geht der Streit nun um schlimm oder schlimmer? Furchtbar oder furchtbarer?


Und warum streitet man sich ausgerechnet mit der amtierenden Regierung der AKP in Ankara darüber ? War nicht Tayyip Erdogan vor zwei Jahren der erste türkische Regierungschef in Ankara, der sich für die Verbrechen an den Armeniern 1915 entschuldigt hatte? Im Jahr darauf, zum 100. Jahrestag des Massakers an den Armeniern, erklärte der damalie türkische Regierungschef Davutoglu die Deportation der Armenier durch die Türken sogar zum „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“. Erinnert sei auch daran: Erst seit der AKP Mehrheit im Parlament ist es überhaupt möglich, über den „Völkermord“ zu sprechen, ohne sofort wegen „Beleidigung des Türkentums“ angeklagt zu werden.


Gleichwohl, die Kritiker Ankaras treffen einen wichtigen Punkt. Tayyip Erdogan, heute Staatspräsident der Republik Türkei, betont trotz aller Entschuldigung: Nein, ,es gibt keinen Schatten eines Völkermordes auf der Geschichte der Türkei und des Osmanischen Reiches‘. So weit gehen die Zugeständnisse eines türkischen Nationalisten dann doch nicht.


Außerdem fürchtet die türkische Regierung eine unübersehbare Flut von Schadensersatzklagen von Hinterbliebenen der Opfer, sollte sie die Massaker an den Armeniern als Völkermord anerkennen. Zurecht, denn Haus und Hof der Armenier kassierte damals das untergehende Osmanische Reich. Es geht der türkischen Regierung als Rechtsnachfolger des Osmanischen Reiches also um mehr, als um „schlimm oder schlimmer“. Nur in kleinen und kleinsten Schritten räumen die türkischen Nationalisten ihre Positionen.


Aber kann man sie mit Parlamentsbeschlüssen aus dem Ausland dazu bringen? Und wieso drängt man dann nicht auch die Japaner, die sich mit ihren Kriegsverbrechen während des Zweiten Weltkrieges noch weniger auseinandersetzen wollen.

 

Worum geht es den Mahnern, die mit dem Finger Richtung Ankara zeigen, die bei anderer Gelegenheit sagen, man wolle sich nicht „oberlehrerhaft“ in einem anderen Land einmischen ? Um ein angemessenes Gedenken der Opfer ? Wird mit einem historischen Begriff Politik gemacht? Strafen deutsche Politiker mit einem „Völkermord-Votum“ nun die AKP Türkei, die wegen ihrer undemokratischen Politik sowieso immer offener kritisiert wird? Lässt sich hier doch auch mal schlagend dokumentieren: Wir sind - trotz aller Flüchtlingsabkommen - nicht „erpressbar“!


In Österreich stimmte das Parlament bereits ab und sprach von „Völkermord“ – Ankara rief daraufhin seinen Botschafter aus Wien zurück. Den Botschafter in Moskau aber rief die türkische Regierung nicht zurück – obwohl auch Putin von „Völkermord“ spricht . Auch die Empörung Erdogans ist beim Gleichen nicht gleich.


In den USA hatte der Auswärtige Ausschuss des Kongresses schon 2010 mit Mehrheit beschlossen, dass es sich bei den Massakern an den Armeniern 1915 um Völkermord handelt. Hillary Clinton, die damals in einem Wahlkampf auch auf ein paar Stimmen der 800.000 US Bürger aus Armenien hoffte, sprach ebenfalls von Völkermord. Nach ihrer Wahlniederlage aber ruderte sie sofort wieder zurück. Barack Obama verwendete diesen Begriff sowieso nie - auch nicht heute. In Frankreich müsste er dafür vor Gericht, denn das französische Parlament hatte schon 2006 mit Mehrheit beschlossen: Jeder wird bestraft, der leugnet, dass es sich 1915 um einen Völkermord an den Armeniern handelt.


Das ist absurd – nicht, weil es sich vielleicht gar nicht um Völkermord handelt. Es ist absurd, wenn politische Körperschaften über die Wertung historischer Ereignisse abstimmen. Dieses Mal sind 23 für den „Völkermord“, 22 dagegen, also handelt es sich um Völkermord. Und nächstes Jahr, wenn die Mehrheitsverhältnisse anders sind ? Tatsächlich waren die Mehrheitsverhältnisse im Deutschen Bundestag im letzten Jahr noch anders. Schon damals stimmten die Abgeordneten über das Massaker an den Armeniern ab, mehrheitlich aber wollte man den Begriff „Völkermord“ nicht verwenden.

 

Und wieso stimmt der Abgeordnete meines Wahlkreises nur über den „Völkermord an den Armeniern“ ab und nicht über das Massaker des 7. US-Kavallerieregiments 1890 an den Indianern am Wounded Knee hält? Wie nennt er wohl den Archipel Gulag des Stalin-Regimes ? Muss der Deutsche Bundestag jetzt alle historischen Ereignisse abarbeiten, die möglicherweise zurecht als „Völkermord“ bezeichnet werden sollten. Und warum?

 

Ausserdem: War nicht die „Alleinschuld Deutschlands am 1. Weltkrieg“ in allen Schulbüchern fettgedruckt und ein Prüfungsthema in Geschichte. Und heute? Nein, das ist kein Plädoyer für das deutsche Kaiserreich, das damals „doch nicht so schlimm“ war. Es ist der Hinweis, dass sich Erkenntnisse über historische Zusammenhänge und Ereignisse in anderer Zeit auch in anderem Licht zeigen können. Hoffentlich gilt das auch einst für die Türkei.

 

Im übrigen hindert niemand die Regierung in Ankara, sich der Verantwortung für die Untaten des Jahres 1915 zu stellen – egal welchen Begriff sie dafür verwendet.

 

Als erstes kommt bei diesen politischen Manövern übrigens zuerst das angemessene Andenken an die Opfer jener Zeit unter die Räder. Verloren hat bei diesem Schacher mit dem Begriff des Völkermordes übrigens auch die armenische Minderheit in der Türkei. Natürlich ist für die armenische Gemeinde am Bosporus das Massaker an ihren Landsleuten 1915 auch Völkermord. Aber sie hat trotz aller Benachteiligungen, trotz Drohungen und Mordanschlägen immer wieder darauf hingewiesen: Ihr kommt es nicht zuerst auf eine Klärung dieses Begriffes an. Für sie ist die Aussöhnung zwischen der Türkei und Armenien vorrangig. Erst wenn die Völker wieder ohne Probleme zueinander reisen und miteinander sprechen und Handel treiben können, dann werde auch eine unverkrampfte und klärende Debatte über die Vergangenheit möglich.

 

Tatsächlich war der Streit um den Begriff des Völkermordes bisher ein wichtiges Hindernis für eine türkisch-armenische Verständigung. Für die mächtige armenische Diaspora ist bislang die Anerkennung der Massaker von 1915 als Völkermord eine Vorbedingung für eine Aussöhnung mit der Türkei.

 

Eine ehrliche Initiative der EU für eine Annäherung zwischen der Türkei und Armenien, gern auch mit Berlin an der Spitze , das wäre dagegen der Mühe wert - und würde allen Seiten helfen.

 

(Der Artikel ist in Teilen eine Übernahme des Textes vom April 2015. Schon damals behandelte eine Resolution des Bundestages die türkische und armenische Geschichte 1915 - aktualisiert 1.6.2016 )

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