Dieter Sauter
  • Fotos
  • Filme
  • Texte
    • Alle Texte
    • Innenpolitik
    • Innenpolitik Kurden
    • Aussenpolitik
    • Aussenpolitik EU und D
    • Kultur und Geschichte
  • Bücher

Türkei : Schluss mit der EU?

Details
Erstellt: 31. März 2017

Will Tayyip Erdogan die Beitrittsverhandlungen mit der EU endgültig beenden? Was ist von der türkischen Außenpolitik zu halten ?

 15 0910 l1160466

 

War es Dummheit oder eine Provokation? Wollte der türkische Geheimdienst tatsächlich „Amtshilfe“ vom Bundesnachrichtendienst beim Bespitzeln türkischer Staatsbürger, oder sollte Berlin nur erfahren: Wir Türken spionieren bei euch, wie es uns gefällt – und nun schäumt mal schön!

Nimmt man die Wortwahl in Ankara gegenüber Berlin und Brüssel, dann sind die Kraftausdrücke inzwischen knapp vor der offiziellen Kriegserklärung angekommen. Deutschland ist undemokratisch. Deutsche Politiker handeln wie Nazis. Die Türken in Deutschland werden systematisch unterdrückt. Brüssel hat ein hässliches Gesicht, hält Verträge und Zusagen nicht ein, Menschenrechte werden mit Füßen getreten, Terrororganisationen gegen die Türkei werden unterstützt, es herrscht Faschismus. Brüssel ist ein Christenclub und steht vor einem Religionskrieg gegen den Islam und Tayyip Erdogan ruft die Organisation Islamischer Staaten zum Kampf gegen den Euro-Faschismus auf.

Es vergeht kaum ein Tag, an dem solche Vorwürfe nicht in mehreren regierungsnahen Zeitungen gebetsmühlenartig wiederholt werden - wiederholt, denn eine Steigerung geht ja nicht mehr. Auch Tayyip Erdogan scheint die Munition auszugehen, die Drohung mit einem Referendum über die EU Beitrittsverhandlungen ist eine Wiederholung vom Juni letzten Jahres. Nur drei Wochen vor dem Militärputsch, versuchte der türkische Staatspräsident Brüssel mit einem Referendum über die EU Beitrittsverhandlungen zu erschrecken. So wollte er der Forderung nach Visafreiheit für türkische Staatsbürger in der EU Nachdruck verleihen.

Heute bereite Erdogan das Ende der Beitrittsverhandlungen mit der EU vor, meint Dr. Özlem Kaygusuz von der Fakultät für Politikwissenschaften in Ankara. 2002, als die AKP die Regierung übernahm, sollte das Projekt ‚EU Beitritt’ die Macht in der Türkei sichern. Bei einem Präsidialsystem sei die EU für Erdogan eher ein Hindernis. Die nächste Krise im Verhältnis EU Türkei sei absehbar.

Aber wenn nicht nach Westen – Richtung EU – wohin will sich Erdogan dann wenden?
Nach Osten, Richtung Russland?

Auffallend ist: Erdogan und seine Regierung überschlagen sich Richtung EU in der Kritik. Bei denselben Fragen aber hört man Richtung Moskau kein Wort. Dort gilt die PKK nicht einmal als Terrororganisation. Die syrischen Kurden der PYD, die in Ankara nur als syrischer Arm der PKK gelten, unterhalten in Moskau ein offizielles Büro. Als Erdogan bei seinem jüngsten Besuch bei Putin bat, der möge doch das Büro der PYD schließen, ließ Putin ihn einfach auflaufen. Noch mehr: Die russische Regierung hatte die PYD und Politiker der türkischen Kurdenpartei HDP sogar nach Moskau zu einem Kongress eingeladen.

In Syrien wiederum unterstützt und deckt Putin die PYD, so wie er den Todfeind Ankaras, den Herrscher in Damaskus, Assad. So heftig der türkische Außenminister Cavusoglu gegenüber der EU pöbelt – so handzahm meint er Richtung Moskau: Es gebe Meinungsverschiedenheiten, aber darüber zu sprechen sei gerade nicht der richtige Zeitpunkt.

Wie kommt das? Fest steht, die EU kommt zu keiner gemeinsamen Haltung gegenüber der Türkei. Die Mitgliedsstaaten können sich nicht einmal darauf einigen, den Prozess „Überwachung demokratischer Standards“ in der Türkei wieder in Gang zu setzen. Dabei war das bereits mit Beginn der Beitrittsverhandlungen beschlossen worden. In Moskau dagegen tritt die Sprecherin des Außenministeriums vor die Presse und erklärt – ganz ohne Rücksicht auf das immer wieder beschworene ‚Ehrgefühl’ des türkischen Politikers: Die russische Regierung glaube, dass Ankara seine Lektion aus den Sanktionen Moskaus nach dem Abschuss des russischen Kampfjets gelernt habe.

Visafreiheit für türkische Staatsbürger wie vor diesem militärischen Zwischenfall? Kann warten. Die Wirtschaftssanktionen gegen landwirtschaftliche Produkte aus der Türkei? - sind immer noch nicht aufgehoben, obwohl darüber schon bald ein Jahr gesprochen wird. Bei Bombardierung türkischer Stellungen in Syrien durch die russische Luftwaffe, bei der drei türkische Soldaten ums Leben kamen, beschuldigt Moskau gar die türkische Armee. Sie habe der russischen Luftwaffe falsche Koordinaten übermittelt. Und das sind nur einige von einer ganzen Reihe von „Meinungsverschiedenheiten“ zwischen der russischen und der türkischen Regierung.

Auch der erhoffte Neuanfang in den Beziehungen mit den USA bleibt bislang aus. (siehe auch Artikel (Außenpolitik): Amis raus aus der Türkei?)

So wollen die Amerikaner die türkische Armee beim Vormarsch auf die letzte IS Hochburg in Syrien, Rakka, nicht dabei haben, genauso wenig wie Russland. Sie setzen stattdessen auf die Kurden der PYD und ihre Kämpfer. Ständig fordert Ankara von Washington die Auslieferung des Predigers Fethullah Gülen. Bekanntlich hat der nach türkischer Lesart den Putschversuch letztes Jahres organisiert. Doch auch bei diesem Thema hören die USA hartnäckig weg. Dafür lässt Donald Trump seinen Außenamtssprecher Erdogan ermahnen. Die Türkei solle demokratische Grundrechte achten. Schließlich zählt Washington bei den neuesten Sicherheitsmaßnahmen auch die Türkei mit zu den problematischen Staaten. Die Visavergabe für türkische Staatsbürger wurde erschwert. Flugreisenden aus der Türkei ist außerdem die Mitnahme von Laptops und Ipads im Handgepäck verboten. Die finanziell angeschlagene türkische Fluggesellschaft THY trifft das vor allem beim lukrativen Geschäft mit der Buisness-Class.

Und was ist mit dem türkischen türkischen Traum von der Rolle als eigenständige Führungsmacht im Nahen und Mittleren Osten?

‚Ach, wenn der arabische Frühling anders ausgegangen wäre ... die Türkei wäre das Land, das am meisten davon profitiert hätte’. Aber dann kam bekanntlich alles anders. Damals hätte die Regierung zu einer „realistischen Position zurückkehren“ müssen – stattdessen aber habe man sich auf eher großspurige Reden verlegt. So klagte ein ehemaliger Berater des türkischen Staatspräsidenten, den der vor einigen Monaten in die Wüste schickte.

Noch vor drei Jahren stritten sich die Kommentatoren, ob die Außenpolitik der Türkei eher „neo-osmanisch“ oder „pan-islamisch“ sei. Wie man die Begriffe auch drehte und interpretierte – heraus kam immer eine „Regionalmacht Türkei“, deren Einfluss vom Balkan im Westen über den Kaukasus im Norden, dem Iran im Osten bis zu den Golfstaaten und Saudi-Arabien im Süden reicht.

Und heute? Teheran rüffelte gerade Ankara: Unsere Geduld ist nicht grenzenlos! Der türkische Außenminister hatte dem Iran vorgeworfen, er wolle Syrien und Irak in einen „schiitischen Staat“ verwandeln. Die meisten Türken gehören bekanntlich der sunnitischen Glaubensrichtung an. Der stv Ministerpräsident Yesi Kaynak warnte im TV Sender CNN gar vor 3 Millionen Flüchtlingen im Iran, die angeblich in die Türkei kommen wollen. Das iranische Außenministerium konterte: Die Türkei, die selbst ihre Flüchtlinge als politische Verhandlungsmasse missbrauche, solle besser überlegen, was sie sagt.

Je größer der Einfluss Teherans in Bagdad, umso schwieriger die irakischen Beziehungen mit der Türkei. Aktuell liegen die beiden Staaten über Kreuz, weil die türkische Armee ihre Einheiten nicht aus dem Nordirak abziehen will. Dort unterhält sie einen Stützpunkt. Und selbst die bislang so guten Beziehungen zu den nordirakischen Kurden trüben sich ein. Der Kurdenführer Barzani verkündete vor wenigen Tagen, jetzt sei die Zeit gekommen, sich „in aller Freundschaft“ von Bagdad zu trennen. Gleichzeitig ließ er die kurdische Flagge über der Ölstadt Kirkuk hissen. Zur Erinnerung: Die mögliche Unabhängigkeit der Kurden im Nordirak und ihr Einfluss in der Ölstadt Kirkuk war Ankara noch vor wenigen Jahren eine Kriegserklärung an Barzani wert.

Ob der neuerliche Schulterschluss mit Israel hält, ist angesichts der guten Beziehungen Ankaras zur Hamas und der Siedlungspolitik TelAviv’s außerdem ungewiss.

Bleiben als Partner der Türkei allein Aserbaidschan im Kaukasus und Saudi-Arabien mit den Golfstaaten?

Mit der EU jedenfalls solle nach dem Referendum „alles neu“ verhandelt werden, so Tayyip Erdogan. Sein Berater, Mehmet Ucum, jubelte schon in der regierungsnahen Zeitung STAR, dann sei die Türkei endlich unabhängig.

Doch da gibt es ebenso das Wort des türkischen Regierungschefs Binali Yildirim: Das gute Verhältnis zu Russland sei für sein Land niemals eine Alternative zur EU. Sein Stellvertreter Mehmet Simsek legte nach, die EU sei „ein Anker für die Türkei“. Simsek fällt die Bemerkung leicht, er ist für die Wirtschaft zuständig und die Wirtschaftsbeziehungen zur EU sind für Ankara unverzichtbar.

Der türkische Außenminister Cavusoglu fasst vor den Reportern der türkischen Tageszeitung Sabah das ganze Hin- und Her so zusammen: Dies sei die „multidimensionalen Außenpolitik“ der Türkei. Kritiker der Regierung befürchten aber, die gibt es nicht. Zurzeit sei ein Konzept in der türkischen Außenpolitik nicht zu erkennen. Richtschnur des politischen Handelns von Erdogan und die Seinen sei einzig, wie man das Referendum für das Präsidialsystem gewinnen könne – und so hangele man sich von Erklärung zu Erklärung. Das heißt aber auch: Sagt die Mehrheit am 16. April Nein zum Präsidialsystem, wird die Außenpolitik Ankaras noch unberechenbarer.

© 2023 Dieter Sauter
  • Über mich
  • Presse
    • Presse zu Filmen
    • Presse zu Fotos
    • Presse zu Texten/Büchern
  • Kontakt
  • Datenschutz
  • Impressum