Dieter Sauter - Türkei - was für eine Wahl .. !?

Details: Erstellt: 17. April 2017

Das Referendum am Bosporus ist gelaufen – doch wie kam das Ergebnis zustande, und was heisst es?

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Gegen 22 Uhr gestern Nacht (16.4.) brannte die Stadtverwaltung der Regierungspartei AKP von Tayyip Erdogan über dem Bosporus ein Sieges-Feuerwerk ab. Autos fuhren hupend durch die Straßen. Zur gleichen Zeit schlugen viele Bewohner des Stadtteiles Cihangir in Istanbul mit Löffeln auf ihre Töpfe und zeigten damit ihren Unmut - wie schon bei den Gezi – Protesten. Heute Morgen hört man das auch von anderen Stadtteilen.

Hat Tayyip Erdogan wirklich gewonnen? Es gibt in der Türkei keine Frage von Rang der letzten 30 Jahre, die je eindeutig geklärt wurde. Wahrscheinlich wird auch nie unzweifelhaft geklärt werden, wie die Mehrheit für die Verfassungsänderung in der Türkei zustande kam.

Auch bei früheren Wahlen gab es Unregelmäßigkeiten. Auch bei früheren Wahlen hat die Regierungspartei die politischen Gegner immer wieder behindert, eingeschüchtert – und es wurden auch schon bei früheren Wahlen Stimmzettel auf Müllhalden gefunden, die nie ausgezählt worden waren. Doch damals wurde nur darüber abgestimmt, welche Partei für 4 Jahre – meist auch nur für 2 oder 3 Jahre – die Regierung stellen wird. Und diese Regierung wurde dann vom Parlament und der Justiz kontrolliert, auch wenn diese Kontrolleure oft geknebelt und lasch waren. Bislang war in der Regel der Sieg einer Partei auch so eindeutig, dass man sagen konnte: Gut, es war nicht alles hundertprozentig in Ordnung, aber sicher ist auch, die Unregelmäßigkeiten haben nicht über Sieg oder Niederlage entschieden.

All das war dieses Mal aber anders.

Keiner spricht mehr darüber, dass während des Wahlkampfes der Ausnahmezustand galt. Noch drei Tage vor der Abstimmung wurden bei Razzien gegen Terroristen – so die offizielle Redewendung – in 20 Bezirken des Landes fast 500 Personen festgenommen. Eine Partei, die kurdennahe HDP, war durch Festnahmen praktisch ausgeschaltet.

Die Behinderungen der NEIN Kampagne hatte sogar der OSZE (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) in einem offiziellen Bericht beklagt. Wer Diplomaten kennt, weiß, dass sie fast immer untertreiben, nie übertreiben.

Dass Staatspräsident Tayyip Erdogan wochenlang auf unzähligen Kundgebungen für ein JA beim Referendum geworben hatte, hielten einige Verfassungsrechtler für äußerst umstritten:Eigentlich sei der Staatspräsident bei Wahlen zu strenger Neutralität verpflichtet. Er dürfe allenfalls zur Teilnahme am Referendum aufrufen. Dass Tayyip Erdogan noch am Wahltag im Fernsehen ungeschminkt zu einem JA aufrief, war ohne Zweifel ein Bruch geltenden Rechts, denn im Wahlgesetz heisst es: 24 Stunden vor der Wahl ist jegliche Wahlwerbung verboten.
Schließlich will die Oppositionspartei CHP die Wahl möglicherweise anfechten, weil die Wahlkommission noch während der Auszählung beschlossen hatte, auch unversiegelte Wahlboxen und Stimmzettel ordentlich auszuzählen. Dabei schreibt das Wahlgesetz eindeutig vor, solche Stimmzettel nur als ungültig zu werten. Die Wahlkommission erklärte dagegen: Ihre Entscheidung sei „im Sinne des Volkes“, deshalb habe man sie so getroffen.

Vor allem: Das proklamierte Ergebnis des Referendums ist so knapp, dass diese Unregelmäßigkeiten möglicherweise den Ausgang dieser Wahl entscheidend beeinflusst haben. Und es ging nicht um die Frage: Stellt die AKP weiter die Regierung, sondern es ging um die Frage: Abschaffung der Republik Türkei? Ausrichtung des Landes, weg von den Werten Europas, hin zu einem Staat des Nahen und Mittleren Ostens wie Ägypten oder Jordanien. Nebenbei: Die Ja Stimmen aus dem Ausland (also auch aus Deutschland) haben - lt Fernsehsender CNN Türk - das Ergebnis insgesamt nur um 0,255 % beeinflusst. In Deutschland haben übrigens gerade 28,5 % der wahlberechtigten Türken für Erdogan gestimmt.

Wer einen Blick in das Wahlprogramm der AKP von 2002 wirft, sieht, welchen Wandel die Partei und Tayyip Erdogan seither vollzogen haben. Damals kam die AKP zum ersten Mal an die Macht. Damals stand als zentrale Losung in ihrem Programm: „Wenn nicht alle frei sind, ist keiner frei!“ Heute ist Tayyip Erdogan der am meisten „beleidigte“ Staatspräsident der Welt, und nur sein Wort gilt: Egal, ob es sich um eine Frage der Geschichte oder um Kunst handelt, oder ob bestimmt werden soll, wie eine Frau zu sein hat. Er bestimmt, wer als Terrorist gilt, auch wenn der gestern noch als Freund umarmt wurde und er schreibt der Justiz vor, wie sie mit ihm umzugehen hat. Aus „Wenn nicht alle frei sind, ist keiner frei!“ wurde : Wir – und die anderen, die gegen uns sind, die Vaterlandsverräter, die Terroristen, die Ungläubigen.

Aber auch Tayyip Erdogan weiß, dass dies kein Wahlsieg ist, wie die früheren. Zum ersten Mal liest er eine Erklärung zum Ausgang des Referendums eher stockend vom Blatt ab, er, der sonst als der herausragende freie Redner des Landes gilt. In den meist von Kurden bewohnten Wahlbezirken erhielt er bis zu 70 % und mehr Gegenstimmen. Das war vorherzusehen. Zum ersten Mal aber haben in fast allen großen Städten die Nein- Sager die Mehrheit. Selbst in Ankara und Istanbul hat die AKP verloren. Dort war Erdogan bislang ein Sieg immer sicher – und das trotz aller Unregelmäßigkeiten während des Wahlkampfes. Einzig in den großen ländlichen Wahlkreisen gab es mehr Zustimmung für ihn als Nein-Stimmen. Erdogan konnte also die Spaltung des Landes trotz einer wuchtigen Werbekampagne nicht aufbrechen. Im Gegenteil: Nun kommt zur Spaltung des Landes in Türken und Kurden die Spaltung zwischen Stadt und Land.

Noch in der Wahlnacht befürchteten Kommentatoren in den Fernsehstudios: Gerade weil der Staatspräsident weiß, auf welch unsicherem Grund sein sog Sieg steht, gerade deshalb werde er noch entschiedener gegen Andersdenkende vorgehen. Das kann schließlich auch die größte Oppositionspartei, CHP, treffen. In Istanbul konnte man schon an diesem Morgen Nein-Sager hören, die gegen das Wahlergebnis und die Fortsetzung des Ausnahmezustandes protestieren wollen.Bereits vor der Abstimmung war davon die Rede, den Ausnahmezustand bis zum Jahr 2019 zu verlängern. Erst dann nämlich tritt die neue Verfassung offiziell in Kraft. Dass diese Verfassung bald wieder geändert wird ist sehr unwahrscheinlich.

Unklar ist auch, wie die PKK und der sog Islamische Staat nun reagieren werden. Die PKK hatte sich all die Monate vor derm Referendum mit Aktionen zurückgehalten. Offenbar wollte sie so verhindern, dass durch Attentate die Rechtsnationalisten beim Referendum mehr Stimmen erhalten.

Eindeutige Reaktionen von der EU sind eher unwahrscheinlich. Sie müssten einstimmig gefasst werden. Schon vor der Abstimmung hatte sich der ungarische Regierungschef Orban z.B offen an die Seite Erdogans gestellt. Die Türkei werde in Europa zu ungerecht kritisiert. Namhafte internationale Konzerne, auch aus Italien, Frankreich und den Niederlanden, werden außerdem in deutschen Medien eine Imagekampagne schalten. Sie soll die nächsten Tage in der ZEIT, dem Focus und dem Stern erscheinen und das Investitionsland Türkei loben. Organisiert wird die Kampagne vom türkischen Wirtschaftsminister Nihat Zeybekci. Der wurde über die Grenzen seines Landes ua mit dem Ausspruch bekannt, die Putschisten (vom Juli letzten Jahres) würden im Gefängnis „wie die Ratten verrecken“. Die Konzerne hoffen nach einem Ja zur Verfassungsänderung auf Stabilität.

Am Bosporus befürchten hingegen viele, das Land werde unruhigen Zeiten entgegen gehen. In unruhigen Zeiten aber wird es für die Regierung schwierig, den Negativtrend der Wirtschaft aufzuhalten. Doch dann könnte schließlich auch die Unterstützung auf dem Land zurückgehen.