Keiner, der in den vergangenen Monaten immer wieder den Sturz der Regierung in Damaskus forderte, warnt heute davor, was der Region droht. Es droht gefährliche Instabilität, ein Bürgerkrieg in Syrien, dessen Ende alles andere als absehbar ist und der viele seiner Nachbarstaaten in seinen Strudel reißen kann.

 

Noch im März letzten Jahres verhandelte Ankara mit dem Assad Regime über den Verkauf von Kanonenbooten. Damals meldete WikiLeaks schon, Washington schicke Geld an die syrische Opposition. 8 Monat später, im November, war dann allerdings schon von Plänen des türkischen Militärs die Rede, eine Pufferzone oder „Sicherheitszone“ entlang der 800 km langen türkisch syrischen Grenze einzurichten, eine freundliche Umschreibung der Absicht, in Syrien einzumarschieren und syrisches Territorium zu besetzen. Anders als in Libyen ist Ankara entschlossen, von Anfang an direkt Einfluss auf die Entwicklung im Nachbarland Syrien zu nehmen.

Zur gleichen Zeit riefen viele westlichen Kommentatoren, wann interveniert endlich einer, wann fällt die Völkergemeinschaft dem Mord-Regime in Damaskus endlich einer in den Arm ?! Ist das Ende des Assads-Regimes absehbar? Keiner, der in den vergangenen Monaten immer wieder den Sturz der Regierung in Damaskus forderte, warnt heute davor, was der Region droht. Es droht gefährliche Instabilität, ein Bürgerkrieg in Syrien, dessen Ende alles andere als absehbar ist und der viele seiner Nachbarstaaten in seinen Strudel reißen kann.

Längst ist aus dem Kampf von Unterdrückten gegen einen Despoten ein Krieg zwischen verschiedenen Völkergruppen und Religionsgemeinschaften geworden, zwischen den verschiedenen islamischen Glaubensrichtungen der Sunniten, Alawiten, Schiiten, den Christen, den Kurden und Arabern. Längst kämpfen all diese Fraktionen auch nicht mehr nur auf eigene Rechnung, wohl ein wichtiger Grund, wieso Kofi Annan seine Arbeit als Vermittler aufgab.

Despoten und Demokraten

Schon lange hat Saudi Arabien gemeinsam mit Katar einen millionenschweren Fond aufgelegt, um die ihnen genehmen sunnitischen Oppositionsgruppen in Syrien zu finanzieren. Kaum einem fällt auf, dass da Ölscheichs, in deren Reich Frauen nicht einmal Auto fahren dürfen und dem Dieb die Hand abgehackt wird, sich in Syrien als Förderer der Demokratie aufspielen. Vom türkischen Adana aus gehen die Waffen der Saudis und Kataris offenbar nach Syrien.

Moskau füllt unterdessen die Waffendepots der Alawiten Assads immer wieder auf. Die amerikanische Regierung hat ihrerseits nach Presseberichten bestätigt dass der Geheimdienst CIA die Aufständischen unterstütze, während ehemalige Spezialisten der britischen Armee syrische Kämpfer trainierten.

Panzer und Raketen

Aus dem Irak sickern laut Medienberichten immer mehr Al Qaida Kämpfer nach Syrien. Israel will ein direktes militärisches Eingreifen in Syrien nichts mehr ausschließen. Der iranische Generalstab schließt inzwischen seinerseits die Entsendung von (schiitischen) Hilfstruppen aus Teheran für das Assad Regime in Damaskus nicht mehr aus und warnt Ankara, man werde bei einem militärischen Eingreifen der Türkei in Syrien nicht neutral bleiben. Zeitlich darauf abgestimmt meldet die iranische Armee den erfolgreichen Test einer verbesserten Kurzstreckenrakete, die auf 300 km punktgenau treffen könne. Ankara hält derweil mit starken Panzerverbänden Manöver an der syrischen Grenze ab, was selbst Washington für ein nicht ungefährliches Zündeln an einem hoch explosiven Brandherd hält.

Verlierer und Verbündete

Stürzt Assad, dann gewinnt zweifellos Saudi Arabien und die Türkei an Gewicht im Mittleren Osten. Iran ist der entscheidende Verlierer. Teheran büsst nicht nur seinen entscheidenden Verbündeten in der Region ein. Ohne Brücke zur Hisbollah im Libanon und der Hamas in den Palästinensergebieten hat es auch keinen direkten Einfluss mehr an den Grenzen zu Israel. Gut? Zunächst wissen die Ayatollahs in Teheran, dass dies eine strategische Niederlage wäre, von der sie sich nur schwer erholen. Also werden sie wie Assad und mit Assad bis zum Letzten kämpfen. Dank des Irak -Krieges von George W. Bush verfügt der Iran inzwischen zumindest in Bagdad über so viel Einfluss, dass er den Irak als direkten Korridor nach Syrien nutzen kann.

Ein Nachbarstaat Syrien aber, in dem Massenvernichtungswaffen gelagert sind und der vielleicht wie einst der Libanon für lange Jahre in einer blutigen Fehde zwischen Religionsgemeinschaften und Ethnien versinkt, ist für Israel ein unkalkulierbares Risiko. Was, wenn Israel meint, es müsse direkt in diesen Bürgerkrieg eingreifen? Wird Ägypten dabei ruhig zusehen können?

Ein Iran, dessen Macht im Mittleren Osten angezählt ist, wird schliesslich in Sachen Atomprogramm noch viel weniger kompromissbereit sein, als zuvor. Allein als erste Atommacht im Mittleren Osten neben Israel könnten die Ayatollahs den strategischen Verlust des Bündnispartners Syrien ausgleichen. Die Lage in Damaskus kann auch den Konflikt um das iranische Atomprogramm gefährlich verschärfen.

Konflikt und Kompromiss

Was mit der Hizbollah im Libanon geschieht, die Teheran seit den achtziger Jahren systematisch aufgebaut und ausgerüstet hat, ist offen. Offen bleibt damit ebenso, ob der Libanon erneut zerfällt. Schließlich weiß auch keiner, ob bei einer Verschärfung des Flüchtlingsproblems und bei einer Zuspitzung des Nahostkonfliktes angesichts der Entwicklung in Syrien nicht auch das Königreich Jordanien gefährlich destabilisiert werden wird.

Spannungen und offenen Drohgebärden gibt es bereits zwischen Bagdad und Ankara. Bagdad unterstützt Assad. Der versucht „seine“ Kurden an der Grenze zur Türkei gegen Ankara zu instrumentalisieren, ein leichtes Spiel angesichts der heftigen Kämpfe, die zur Zeit zwischen der türkischen Armee und der PKK stattfinden. Der türkische Außenminister versucht dagegen den Kurdenführer Barzani im Nordirak mit vorteilhaften Handelsabkommen zu ködern. Bagdad, dem jede eigenständige Wirtschaftspolitik seiner Kurden suspekt ist, faucht „Separatismus!“ und droht, den türkischen Außenminister im Nordirak notfalls auch verhaften zu lassen. Ob Ankara nicht doch noch den „kurdischen Norden“ Syriens besetzen will, um koordinierte Aktionen der PKK mit den syrischen Kurden und/oder ein autonomes syrisch-Kurdistan zu verhindern, wird von der weiteren Entwicklung in Syrien abhängig.

USA und Russland

Bei all diesen lokalen Brandherden darf man aber nicht übersehen, dass dahinter das Ringen der Großen, vor allem der USA und Russland steht, mittlerweile wohl auch das Ringen der USA mit einem wachsenden Einfluss Chinas auf der außenpolitischen Bühne der Welt.

Der ehemalige deutsche Außenminister Joschka Fischer frohlockte vor wenigen Tagen, mit Syrien werde Russland nicht nur seine letzte bedeutende Bastion im Mittleren Osten verlieren. Am Beispiel Syriens werde auch allen anderen Despoten klar, die Allianz mit Moskau ganatiert keinem das Überleben. Soweit die gute Nachricht. Aber wird ein geschwächtes Russland nicht unberechenbarer und noch seltener bei der Lösung regionaler Konflikte mitzuwirken ? Auch Russland hat gelernt: Sein Entgegenkommen im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen zu Libyen „zum Schutz der Zivilbevölkerung“ wurde von den NATO-Staaten schnippisch uminterpretiert: Man könne die Zivilbevölkerung letztendlich ja nur beschützen, wenn man Gaddafi beseitige. Oder ist das Washington gar egal, weil es beabsichtigt, Moskau mit einem Engagement in Syrien nachhaltig zu schwächen, wie einst in Afghanistan?