Barack Obama erklärt ISIS den Krieg. Bislang scheint aber nicht viel klar bei dieser Kriegserklärung – außer, dass es ein unberechenbares militärisches Abenteuer werden könnte.

Edward Snowden nahm gestern (05.09.) an einer Telefonkonferenz mit Angehörigen einer Privatuniversität in Istanbul teil. Natürlich ging es dabei vor allem um das weltweite Spionage-Programm der NSA, auch um die Nachricht, die NSA hätte seit Jahren Ankara abgehört.

Zur gleichen Zeit forderte der deutsche General a.D Harald Kujat, der 2002 bis 2005 Vorsitzender des NATO-Militärausschusses war: Die NATO braucht ein Krisen-Frühwarnsystem. Ob ISIS oder der Krieg in der Ost-Ukraine, die NATO und Europa würden immer wieder von solchen Krisen überrascht.

Das passt nicht zusammen. Aber vieles passt zur Zeit nicht zusammen.

So gelten z.B. auf einmal alle unumstößlichen Argumente nicht mehr, wieso ein militärisches Eingreifen von Streitkräften der USA oder Europas in Syrien vollkommen undenkbar ist. Die Schwäche und Zerstrittenheit der syrischen Opposition war früher ein entscheidendes Argument, warum sich ein militärisches Eingreifen des Westens in Syrien verbietet. Heute ist es das Argument, wieso eine Koalition von 10 NATO Staaten auch in Syrien gegen die ISIS antritt.

Der „wichtigste NATO Gipfel seit Ende des Kalten Krieges“ ist zu Ende. Zum ersten Mal nahm Tayyip Erdogan als neugewählter Staatspräsident daran teil. Er ist nun auch der Oberbefehlshaber der türkischen Streitkräfte, bekanntlich die zweitgrößten Armee der NATO. Seit zwei Tagen ist die Türkei auch Mitglied einer Koalition von 10 NATO-Staaten unter Führung der USA. Die werden gemeinsam in den Krieg ziehen, denn US_Präsident Barack Obama hat ISIS den Krieg erklärt. Auf seiner Pressekonferenz nach dem NATO-Gipfel erklärte er, ISIS könne man nicht „zurückdrängen“. Das militärische Ziel der Koalition der 10 NATO Staaten sei es, ISIS zu zerschlagen.

Zwei erstaunliche Bedingungen für diese Kriegserklärung nannte Barack Obama außerdem: Erstens, es gibt noch keine Strategie oder Konzept für diesen Krieg. Das ist mehr als ungewöhnlich in der Geschichte der Kriegsführung. Tatsächlich bekannte die US-Luftwaffe letzte Woche, sie habe noch nicht einmal Angriffsziele für ihre Bomben in Syrien.

Zweitens: Es würden keine Bodentruppen der NATO im Irak oder Syrien eingesetzt. Dabei war bislang das entscheidende Argument der US-Armee gegen Luftschläge in Syrien, ohne Einsatz von Bodentruppen sei kein Kriegsziel zu erreichen oder zu sichern. Werde ein US Kampfjet abgeschossen, sei nicht einmal die Besatzung des Flugzeuges ohne Einsatz von Bodentruppen zu retten.

Man setze auf „regionale Partner“, so Obama. Wer die sein sollen, blieb offen.

Schon im Irak ist die Zusammenarbeit zwischen Bagdad und Erbil, der kurdischen Hauptstadt im Nordirak, mehr als instabil. So werden die Waffen aus Europa an die Kurden immer über Bagdad geliefert – und die Kurden befürchten jetzt schon, dass die Hälfte der Waffen auf diesem Weg in andere Depots wandern könnte. Der deutsche Aussenminister Steinmeier hält deshalb eine innerstaatliche Reform im Irak für unerlässlich. Nur: Wer soll die zustande bringen und sichern ?

Bekanntlich sind in Syrien sowohl Iran als auch Saudi-Arabien seit Jahren am Krieg in Syrien beteiligt. Bekannt ist auch, dass beide Staaten aufs innigste verfeindet sind. Ist eine Koalition „regionaler Partner“ ohne Iran und Saudi-Arabien denkbar? Ist eine Zusammenarbeit zwischen Iran und Saudi-Arabien denkbar?

Der Türkei wird bei der „Koalition“ eine besondere Rolle zukommen, denn es ist das einzige Land, das an Syrien und den Irak grenzt, an die beiden Länder, in denen Krieg geführt werden soll. Doch auch da gibt es Erstaunliches zu hören. Tayyip Erdogan wird in der türkischen Presse zitiert, er habe eine umfassende Strategie für diesen Feldzug eingefordert. Seiner Auffassung nach sei das Assad-Regime die Ursache allen Übels. Stimmt dieses Zitat, dann ist nach türkischer Lesart die ISIS nur zu zerschlagen, wenn Assad aus Damaskus vertrieben wird. Das ist ein ganz anderes Kriegsziel als das der USA oder des Iran. Und wenn nun auch die Kurden im Nordirak, die Kurden in Syrien oder Bagdad andere Kriegsziele verfolgen ? Lässt sich das dann auch aus der Luft regeln ?

Sofern die Kriegserklärung in der Türkei überhaupt kommentiert wird, sind diese Deutungen allesamt negativ. Gewarnt wird vor den wirtschaftlichen Folgen eines solchen Krieges, den nächsten zehntausenden Flüchtlingen. Die Lösung der Kurdenfrage in der Türkei werde mit diesem Krieg unterlaufen – und überhaupt: Als Mitglied der NATO werde die Handlungsfähigkeit der Türkei zunehmend eingeschränkt. Zum ersten Mal wird in einigen Kommentaren offen der Austritt der Türkei aus der NATO gefordert. Die Zeitung Hurriyet zitiert sogar „diplomatische Quellen“ die nicht genannt werden wollen, die munkeln, es sei nicht sicher, ob die Türkei in dieser Koalition gegen die ISIS bleiben werde.

Selten gab es eine Kriegserklärung mit so viel Wenn und Aber. Nur in einem sind sich die türkischen Kommentatoren mit den USA einig: Es werde ein langer Krieg. Auch US Außenminister Kerry meinte zum Ende des NATO Gipfels, der Krieg gegen die ISIS könne drei Jahre dauern. „Nur“ drei Jahre? – sollte man fragen.