Wer wird für die „Koaltion gegen die ISIS“ kämpfen? Ankara hat schon mal ‚Nein’ gesagt – zumindest halb. Amerika ist deswegen nicht besonders besorgt. Warum ?

Der Kabarettist Dieter Hildebrandt meinte einst mit Blick auf feige Politiker: Der Mensch stamme offenbar nicht vom Affen ab, sondern von der Duckmaus. Nun sehen einige auch die Türkei als Duckmaus, denn Ankara hat die Erklärung von Jiddah in Saudi-Arabien nicht unterzeichnet. Dort wurde die Koalition der „regional Partners“ gegen die ISIS begründet (Saudi-Arabien, Irak , Bahrain, Ägypten, Jordanien, Kuwait, Libanon, Oman, Katar und die Vereinigten Arabischen Emirate) . Die Regierung in Ankara erklärte, sie werde den Kampf gegen die ISIS nur „passiv“ unterstützen und sich nicht an Militär-Einsätzen beteiligen. Auch der Militärstützpunkt „Incirlik“ im Südosten der Türkei dürfen die Kampfjets der USA für Luftschläge gegen die ISIS in Syrien und Irak lt Presseberichten nicht nutzen.

Rückt Ankara von seinen westlichen Bündnispartnern ab?

Tatsächlich benötigen die USA die türkische Armee militärisch nicht für ihre Luftschläge. Der Luftwaffenstützpunkt im kurdischen Erbil im Nordirak ist für die US-Luftwaffe eher günstiger gelegen als Incirlik. Soweit bislang bekannt, erlaubt Ankara den USA sowieso, Incirlik zur Aufklärung, Logistik und der ärztlichen Versorgung seiner Soldaten zu nutzen. Auch die NATO Luftabwehrraketen vom Typ Patriot nahe der türkisch-syrischen Grenze werden sicher nicht ungenutzt in der Landschaft stehen. Ein Einsatz türkischer Bodentruppen in Syrien oder gar im Nordirak ist zur Zeit ohnehin undenkbar. Bleibt noch offen, ob die Türkei die für Militäroperationen nötigen Überflugrechte und Transfers über sein Territorium gewährt

Aber offen ist sowieso noch viel. (siehe auch: Kriegserklärung mit Wenn und Aber) Die ‚neue Strategie’ der Amerikaner, den Krieg ‚aus dem Hintergrund’ zu führen, nennt man am Bosporus: Remote-War. Wer kämpft dann eigentlich, fragen türkische Kommentatoren. Vielleicht sollte man fragen: Wieso glaubt Amerika, dass dieses Konzept funktioniert, nachdem es im Irak und Afghanistan bereits eingebrochen ist. Die von der US Armee ausgebildeten irakischen Soldaten haben ihre Waffen bereits der ISIS überlassen und Fersengeld gegeben. In Afghanistan scheint die Armee selbst nach mehr als 10 Jahren Krieg den Taliban nicht einmal standhalten zu können. Dabei hatten die USA im Irak und Afghanistan jahrelang Zeit, die „Remote-Armee“ auszubilden und aufzubauen.

Offen ist, wer für die Koalition gegen die ISIS in Syrien kämpfen soll. Offen ist nach wie vor, wie es die USA mit Assad und Teheran halten wollen. Schon Anfang September meldeten BBC und NewYork Times, die USA beabsichtigten eine Zusammenarbeit mit den vom Iran unterstützten Milizen in Irak. Nun soll Teheran zunächst wenigstens offiziell nicht als ‚Koalitionspartner’ gelten. Selten haben die USA versucht, so viele Gegenspieler hinter der Losung: Der Feind meines Feindes ist mein Freund – zu versammeln.

Abgesehen davon spricht keiner darüber: Wenn nun trotz allem ISIS restlos zerschlagen werden kann – was dann? Wie soll die politische Landschaft dann aussehen. Wer soll dann dort regieren? Oder soll alles nur so sein wie vor der ersten ISIS Attacke? Oder fährt man jetzt erst einmal „auf Sicht“, wie der schöne Begriff lautet, wenn man nicht weiß, was wird? Kein Wunder, dass der amerikanische Aussenminister inzwischen fast jeden zweiten Tag von einem „langen Krieg“ spricht.

In Sachen „Türkei“ kann Washington den Ball flach halten: Man weiss um die schwierige Situation Ankaras. Bekanntlich hat ISIS noch immer 46 türkische und 3 irakische Geiseln in ihrer Gewalt. Die Losung ist: Kommt Zeit, kommt vielleicht eine Geiselbefreiung – und dann sieht man die Lage am Bosporus wahrscheinlich anders.

Darüber hinaus hat die Türkei erst gestern (11.09.) in der türkischen Presse erklären lassen, man habe eine Anti-Terror-Einheit aufgestellt. Die soll sowohl auf den Flughäfen in Istanbul als auch an der Grenze zu Syrien mögliche ISIS Anhänger abfangen. Wenn das mehr als ein Lippenbekenntnis ist, ist allein das eine beachtliche Militäroperation. Dann muss sich das Land auf umfangreiche Sicherheitsmaßnahmen entlang der Grenze zu Syrien einstellen. Die ist bekanntlich rund 900 km lang. Bislang hatten deutsche und britische Zeitungen berichtet, ISIS – Anhänger zahlten in der Regel zwischen 10 USD und 70 Euro für eine problemlose Reise über die Türkei nach Syrien in den sog. Heiligen Krieg. Ohne sicheres ‚Hinterland Türkei’ und ohne sicheren ‚Transportkorridor durch die Türkei ist die ISIS spürbar geschwächt. Schliesslich trägt Ankara mit inzwischen über 1,5 Millionen Flüchtlingen aus Syrien und Irak einen Großteil des wuchtigen Flüchtlingsproblems in der Region. Mehr könnte Ankara zur Zeit sowieso kaum tun.

Die fehlende Unterschrift der türkischen Regierung unter das Jiddah-Kommuniqué ist kein wichtiger Anlass zur Unruhe in Amerika – zunächst zumindest. Aufhorchen sollten die USA aber bei den Anti-Amerikanischen und Anti-NATO Kommentaren am Bosporus, die zur Verweigerung der Unterschrift in Saudi-Arabien geschrieben wurden: Man lasse sich nicht in eine Kriegsfalle locken. Schluss mit : Die USA führen Krieg und die Türkei soll das wirtschaftlich ausbaden. Soll die „neue Türkei“ wirklich NATO Mitglied bleiben? Die Zeiten seien vorbei, wo Amerika ruft und Ankara springt. Hätten die früher auf die Türkei gehört! Die Suppe hätte sich Washington selbst eingebrockt, jetzt solle sie auch daran löffeln. Da zoben sich keine Praktikanten aus. Vor allem in den halbamtlichen Blättern schauen die Kommentatoren genau auf die Lippen ihrer Herren.  (aktualisiert: 14.09.)