An der türkisch-syrischen Grenze blicken NATO und EU inzwischen direkt in die Gewehrläufe der IS. Ankara will sich nun aktiv am Kampf gegen IS beteiligen – aber das Eis ist dünn, auf dem die Koalition gegen die IS balanciert.

 

Ankara hat Krach – Krach mit Ägypten. Auf der UN Vollversammlung wollte sich der türkische Staatspräsident Tayyip Erdogan mit seinem ägyptischen Amtskollegen Sisi nicht einmal an einen Tisch setzen. Der ägyptische Aussenminister poltert : „Der türkische Präsident will im Nahen Osten Chaos stiften und Uneinigkeit verbreiten, indem er Terrorgruppen politisch und finanziell unterstützt und ihnen Unterschlupf gewährt.“ Der Grund: Die Türkei will die führenden ägyptischen Muslimbrüder aufnehmen, die vor dem herrschenden ägyptischen Präsidenten Sisi fliehen mussten.

Brisant ist dieser Streit vor allem auch, weil Ankara und Kairo eigentlich Schulter an Schulter in der „Koalition der Willigen gegen die IS“ kämpfen sollten. In der Türkei blickt die NATO und die EU inzwischen direkt in den Lauf der IS-Gewehre. Im türkischen Fernsehen machen die jungen Journalistinnen aus Istanbul ihren live –Auftritt vor der Kamera – und die Kamera zeigt hinter den Kolleginnen die schwarze Fahne der IS auf dem Dach eines Lehmhauses in einem syrischen Grenzort. Granaten der IS fliegen auf türkisches Territorium – und schwere türkische Artillerie schießt zurück. Immer wieder überqueren türkische Sanitäter die Grenze zu Syrien, um Verletzten zu helfen oder sie zu bergen. Keiner weiß, wie viele Tage es noch dauert, bis türkische Soldaten auf syrischem Staatsgebiet vorrücken, um solche Sanitäter zu schützen.

Am Beispiel Türkei kann man außerdem sehen, wie dünn das Eis ist, auf dem die „Koalition der Willigen gegen die ISIS “ balanciert. Ankara will den Kampf gegen die ISIS nicht nur militärisch unterstützen. Die Türkei will eine Pufferzone an der türkisch-syrischen Grenze, zu deutsch: Ein Teil des syrischen Territoriums soll von der „Koalition“ besetzt werden. Gleichzeitig aber liegt die Türkei mit fast allen anderen Koalitionären im Streit.

Im Irak sind die Türken den Kurden von Barzani zumindest nicht feindlich gesinnt. Aber natürlich will Ankara nicht, dass die Kurden Barzanis im Nordirak nach dem Kampf gegen die ISIS einen unabhängigen Kurden-Staat gründen. In dieser Frage sind sie sich mit der Regierung in Bagdad und den USA einig. Aber sie sind gleichzeitig gegen die Regierung in Bagdad, denn die unterdrücke die Sunniten im Irak. Sie erlaube dem Iran, Waffen über den Irak nach Syrien an Assad zu liefern Und dann ist die Türkei natürlich auch gegen die PKK im Nordirak. Die gibt jetzt schon zu erkennen: Der Friedensplan mit Ankara, über den seit Monaten und Monaten verhandelt wird, kippt. Keiner könne jetzt die Waffen niederlegen, wenn der PKK Führer Öcalan zum „großen Krieg“ gegen die ISIS aufruft. Seit Tagen prügeln sich Anhänger der PKK in der Türkei mit Polizeieinheiten an der Grenze zu Syrien, denn die PKK-Anhänger wollen den Kurden im Norden Syriens gegen die ISIS helfen. Das aber will Ankara nicht zulassen.

In Syrien schießt die türkische Armee auf Stellungen der ISIS im Norden Syriens. Dort halten nur noch die Kurden die ISIS-Kämpfer auf. Aber auf diese Kurden im Norden Syriens würde Ankara am liebsten auch schießen lassen, denn sie sind Waffenbrüder der PKK. Und natürlich sind die Türken auch gegen den Herrscher in Damaskus, Assad, und sie sind dagegen, dass sich die USA „stillschweigend“ mit Assad über ein Vorgehen gegen ISIS einigt. Sie sind außerdem gegen den Einfluss des Iran in Syrien, denn Teheran unterstützt dort bekanntlich den Diktator Assad. Deshalb sind sie auch dagegen, dass sich Washington mit Teheran über ein Vorgehen gegen ISIS in Syrien verständigt.

Wer in die Runde der „Koalitionäre gegen die ISIS“ blickt, kann feststellen: Die Türkei ist kein besonders komplizierter Einzelfall. Etliche andere Koalitionäre sind in einer ähnlichen Lage. Sollte es Barack Obama gelingen, diese Koalition zum Erfolg zu führen, hätte er sich seinen Friedensnobelpreis zumindest nachträglich redlich verdient. Doch bislang konnten sich die Koalitionäre noch nicht einmal darüber verständigen, was „Erfolg“ eigentlich heißt.