Es war der erste ernste militärische Zwischenfall seit dem Ende des Kalten Krieges – nur ein eher unbedeutender Streit zwischen Russland und der Türkei?

 

Wie genau es am 23. November zum Abschuss des russischen Kampfjets durch die türkische Luftwaffe kam, wissen nur die, die über Geheimdienstinformationen verfügen. Auffällig ist aber: Alle sprechen über das Geweihschrammen zweier autoritärer Herrscher, über Putin und Erdogan - als sei da nur ein wenig zuviel Testosteron verschüttet worden. Wieso spricht keiner über die USA?

 

Gesichert ist: Es gab Anfang Oktober bereits mindestens eine Verletzung des türkischen Luftraumes durch russische Kampfjets an der türkisch-syrischen Grenze. Damals entschuldigten sich die russischen Militärs mit einem „Navigationsfehler". Das war angesichts der ausgefeilten Technologie in modernen Kampflugzeugen nicht sehr glaubwürdig.

 

11 Tage später schiesst die türkische Luftabwehr eine Drohne ab, die drei Kilometer weit in den türkischen Luftraum eingedrungen war. Wer die Drohne geschickt hatte, sei nicht bekannt, erklärte damals der türkische Generalstab. Auch später wurde darüber nie mehr etwas bekannt.

Und das soll alles passiert sein, ohne dass bei den US Militärs die Alarmglocken läuteten ? Immerhin sind deren Kampfjets unweit der Grenze auf türkischen Militärbasen stationiert.


Die frühe Mär, ein türkischer Pilot habe eigenwillig auf den Knopf gedrückt wurde später vom türkischen Generalstab dementiert. Die Piloten hätten auf ausdrücklichen Befehl der Generalität in Ankara gehandelt und die hätten sich darüber mit der türkischen Regierung abgesprochen. Glaubt jemand im ernst, die türkische Regierung provoziert den ersten ernsten militärischen Zwischenfall zwischen der NATO und Russland seit Ende des Kalten Krieges, ohne sich darüber mit den USA abzustimmen? Ohne dass die US Militärs sagen: Yes, go!


Dass dieser schwerwiegende Vorfall als türkisch-russisches Gerangel behandelt wird, hat für Russland den Vorteil: Putin kann auf die Türkei einprügeln, obwohl er die NATO und die USA meint. Er kann Ankara zeigen, wer der Koch und wer der Kellner ist. Er kann dem NATO Mitglied Türkei außerdem beibringen, es wird teuer für dich, wenn du (im Namen der NATO oder den USA) gegen uns antrittst. Die Rechnung zahlst alleine du. Außer warme Worte hast du von der NATO nichts zu erwarten.


Außerdem ist damit auch ein Plan der amerikanischen ‚Koaliton gegen den IS' zum weiteren Vorgehen in Syrien Makulatur. Die USA wollten einen ‚IS-freien Korridor' an der türkisch-syrischen Grenze einrichten. Wie und wer diesen Korridor sichern sollte, ob mit Bodentruppen oder wie sonst, war bislang nicht öffentlich debattiert worden. Bekanntlich plädiert Ankara seit langem für eine „Sicherheitszone" und „No-Fly-Zone" dort. Moskau streitet sich mit Ankara – und zeigt damit der ‚Koalition': Nichts geht mehr in Syrien ohne meine Zustimmung.


Die NATO und die USA üben sich indessen in Solidarität mit der Türkei - als ginge es sie nicht wirklich was an. Die USA treten gar als „Vermittler" zwischen den beiden Streithähnen auf. Barack Obama rief am Rande des Weltklimagipfels Moskau und Ankara auf, den Bogen in dem Konflikt nicht zu überspannen, als habe er damit überhaupt nichts zu tun. Dem russischen Militär wurde die rote Linie gezeigt, ohne dass dies als ein Zwischenfall zwischen der NATO oder den USA und Russland gilt.


Der Hinweis, Israel habe wenigstens besondere Kommunikationskanäle mit den Russen, deshalb komme es bei einer Luftraumverletzung an der syrisch israelischen Grenze auch nicht zu solchen Zwischenfällen – auch dieser Hinweis ist aus dem Fach Theaternebel.


Schon vor Wochen verhandelten die US-Militärs mit Russland über die „Luftsicherheit in Syrien", da ja beide im gleichen Luftraum operieren. Punkt eins bei solchen Verhandlungen ist natürlich die Einrichtung besonderer Gesprächskanäle, über die man sich auch sehr kurzfristig verständigen kann.
Blickt man hinter den Theaternebel, rücken NATO und Russland bedrohlich nah aneinander. Beide Seiten haben wohl in vollem Bewusstsein die rote Linie des anderen ausgetestet. Aber dabei bleibt es nicht. Die russischen Militärs wollen Flugabwehrraketen nahe der türkisch-syrischen Grenze stationieren, die auch die von der US Luftwaffe genutzten türkischen Basen erreichen können. In der NATO überlegt man, Flugabwehrraketen in der Türkei zu stationieren. Die können aber nur gegen russische Kampfjets gedacht sein. Die Reste der syrischen Luftwaffe würden nie den türkischen Luftraum verletzten und der IS verfügt über keine Luftwaffe.


Beide Seiten rüsten - auch gegeneinander - in der Region auf. Neue Kriegsparteien, wie Deutschland, greifen mit ein. Dabei ist noch vollkommen unklar, welches politische Ziel mit all den Militärs in diesem kleinen Land erreicht werden soll.