Dieter Sauter
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.Abschied ohne Abgang .

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Erstellt: 19. März 2019

Gelingt Tayyip Erdogan das, was das Parlament in Großbritannien seit zwei Jahren versucht: Sich abzuwenden von der EU, und doch dabeizubleiben, zumindest als Beitrittskandidat?

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Die meisten Politiker hauen im Wahlkampf gerne aufs Blech, damit das Scheppern alle anderen und alles andere übertönt. Der türkische Staatspräsident Tayyip Erdogan braucht dazu keinen Wahlkampf – aber nun wird auch noch in drei Wochen in den Kommunen am Bosporus gewählt. Auf einer Kundgebung in der Hafenstadt Izmir hat sich Erdogan mal wieder die EU vorgeknöpft. „Das EU Parlament greift die Türkei mit denselben Argumenten an wie die Terrororganisationen PKK und FETÖ (gemeint der Orden des islamischen Predigers Gülen). Glaubt mir, wenn die die Möglichkeit hätten, sie würden nicht zögern, unser Land den Terrorgruppen auszuliefern!“ und: „Wir warten auf eure Entscheidung, macht endlich, wir sind dazu bereit! Aber ich sage euch, sie bringen das nicht fertig!“

Erdogan reagierte damit auf die Empfehlung des EU Parlaments (370 Ja, 109 Nein-Stimmen, 143 Enthaltungen) von letzter Woche, die EU Beitrittsverhandlungen mit der Türkei offiziell auszusetzen.

'Wir brauchen die EU Mitgliedschaft nicht'

Schon am 1. Oktober 2017 erklärte Tayyip Erdogan vor dem Parlament in Ankara: ‚Wir brauchen die EU Mitgliedschaft nicht. Die EU braucht die Türkei! ’ und: „Europa ist heute ein Ort, an dem sich Terroristen frei bewegen können und alle möglichen Aktivitäten gegen die legitime Regierung der Türkei organisieren können“. Aber: „Wir werden von uns aus den (Beitritts-)Prozess nicht beenden, wir werden nicht das Handtuch werfen oder aufgeben“.

Seither haben alle maßgeblichen Politiker der Türkei – je nach Belieben und Zuhörerschaft – diese Argumentation in allen Variationen ständig wiederholt. Mit der Kabinettsreform im Sommer 2018 wurde das EU Ministerium abgeschafft, aber 3 Monate (7.10) später versichert der ehemalige EU Minister Ömer Celik: Die Türkei könne alle Beitrittskapitel innerhalb von 6 Monaten abschließen, wenn die EU das wolle – während Erdogan einen Tag zuvor noch weissagte: Die EU werde schwach und schwächer. „Ich sehe Anzeichen von einem Ende der EU“, und man sollte vielleicht ein Referendum in der Türkei abhalten, ob man überhaupt mit den Beitrittsverhandlungen fortfahren solle.

Tatsächlich ist in der Außenpolitik der Türkei spätestens mit dem (erwzungenen) Rücktritt von Ahmet Davutoglu als Regierungschef (Frühjahr 2016) kein Konzept mehr erkennbar. Davutoglu wollte der Türkei auch in den westlichen Bündnissen größeres Gewicht verschaffen - vor allem durch ausgleichende Politik in der Region (‚Null Probleme mit den Nachbarstaaten’). Damals war sogar der Saudische König Salman in Ankara, eine Aussöhnung mit Israel war vorbereitet und es schien, als würde die Türkei auch seine Konflikte mit Ägypten zumindest teilweise lösen.

'Vergesst den Westen'

Inzwischen gibt es keinen Nachbarstaat der Türkei mehr, mit dem Ankara nicht in tiefem Streit verbunden ist, und die Außenpolitik des Landes schlingert zwischen “Vergesst den Westen! Es lebe Eurasien“ und „Wir schlagen ein neues Kapitel in den Beziehungen zu den USA und der EU auf“ – hin und her.

Das ist auch Ergebnis des Erdogan’schen Präsidial-Systems. Der türkische Staatspräsident hat nach und nach selbständig denkende Berater entlassen – und bestimmt in allen Bereichen allein die Richtung. Meist geht es darum, was im Lichte des jeweiligen Tages vorteilhaft erscheint. Oft ist die Außenpolitik Erdogans auch zuerst einmal Innenpolitik.

Wie wenig ernst die türkische Regierung die EU nimmt zeigt sich auf fast allen Gebieten: Erdogan steht fest an der Seite des Diktators Maduro in Venezuela, während die EU geschlossen den ehemaligen Parlamentspräsidenten Guaidó unterstützt; er verweigert jede Beteiligung an Sanktionen der EU gegenüber Russland; einen Beschluss des Europäischen Gerichtshofs hält Erdogan nicht für bindend, verweigert deutschen Journalisten die Akkreditierung und lässt Reporter der EU aussperren, wenn EU Vertreter seinem Schwiegersohn und Finanzminister EU-Hilfen zusagen wollen. Die Kritik des EU Parlaments an der Menschenrechtssituation in der Türkei wird dagegen als „vollständig bedeutungslos“ und beeinflusst von „rechtsextremistischer Ideologie“ abgetan, während der Nationale Sicherheitsrat der Türkei im Januar unter seinem Vorsitz offiziell verlauten lässt: Der Westen müsse endlich aufhören Terroristen zu unterstützen. ‚Alle Terroristen, die Muslime töten, ob PKK, Al Kaida oder Al Shabaab, haben Waffen aus dem Westen in Händen’, so der türkische Staatspräsident auf einem Schulschiff des Militärs Anfang Februar.

Die besondere privilegierte Partnerschaft

Das geht, weil es die EU zulässt. Seit Angela Merkel mit Nicolas Sarkozy 2007 bei den Beitrittsverhandlungen mit der Türkei kraftvoll auf die Bremse getreten ist, spulen die Bürokraten der EU ein Beitritts-Programm ab, das die Überschrift trägt: Die Türkei genießt die privilegierte Partnerschaft eines ständigen Beitrittskandidaten. Seit 14 Jahren wird mit der Türkei ‚verhandelt’ - nach 14 Jahren ist von 35 Verhandlungskapiteln eines abgeschlossen (Wissenschaft und Forschung). Die Fortschrittsberichte werden immer kritischer und immer häufiger garniert mit „nicht hinnehmbar“, „rote Linie“, „rote Linie überschritten“, „nicht zum business as usual zurückkehren“, aber: Den „Gesprächsfaden nicht abreißen lassen“. Berichte darüber erscheinen in der Presse seit Jahren immer häufiger unter „Wichtiges in Kürze“ – so auch die Empfehlung des Europäischen Parlaments letzte Woche.

Vor allem die deutsche Wirtschaft mit ihren 7 000 Unternehmen am Bosporus fürchtet das Echo eines „Knalls“ in den Beziehungen der EU zur Türkei. Die Türkei will gerade jetzt, angesichts der Wirtschaftskrise, nicht auf „Strukturhilfen“ und „Hilfen für den Beitrittskandidaten“ verzichten. Brexit, EU Wahlkampf, mittelfristige Finanzplanung der EU, usw usw - Tayyip Erdogan trifft es wohl, wenn er sagt: „Wir warten auf eure Entscheidung ... Aber ich sage euch, sie bringen das nicht fertig!“ Das ist eine ‚privilegierte Partnerschaft’, mit der Ankara leben kann. Auch die EU ?

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