Dieter Sauter
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Erstellt: 13. Juli 2019

 

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Wo das russische Raketenabwehrsystem S-400 in der Türkei stationiert werden soll, ist noch geheim. Einige vermuten, es werde wohl auf einem Militärstützpunkt in der Nähe von Ankara in Betrieb genommen.

Versucht Tayyip Erdogan nun die USA und die NATO zu beschwichtigen? Lässt er die russischen Waffen einfach verpackt wie geliefert in den Hangar rollen und rührt sie nicht an? Das war Erdogan aus der Umgebung von Donald Trump im Zuge des G-20 Gipfels in Osaka offenbar als „Ausweg“ angedeutet worden, um einen offenen Konflikt mit den USA und der NATO zu vermeiden. Russland ist der Hauptgegner der NATO‚ da könne man nicht auf beiden Hochzeiten gleichzeitig tanzen’, da sind sich die Sicherheitsexperten des Westens einig.

Doch auch diesen ‚Ausweg’ scheint Ankara nicht nehmen zu wollen. Noch gestern (12.7.) versicherte der türkische Verteidigungsminister Hulusi Akar, die Ausbildung für den Aufbau und die Inbetriebnahme des russischen Raketenabwehrsystems werde zurzeit sowohl in Russland als auch in der Türkei wie geplant fortgesetzt.

‚Weiß der Führer denn, was er da tut ?’

Mit Führer hatte der Kommentator (Mehmet Y. Yilmaz) dieser Frage den türkischen Staatspräsidenten gemeint. Zwar behaupten Erdogan und die Seinen gebetsmühlenartig, die Türkei brauche unbedingt ein eigenes Raketenabwehrsystem. Aber nicht ein Mal wurde darüber gesprochen, gegen welchen Feind man sich aus welchem Grund mit welchem Waffensystem rüsten müsse. Obgleich diese Fragen seit Jahren in den türkischen Medien hin- und hergeschrieben werden, das türkische Parlament hat sich damit noch nie befasst.

Tatsächlich scheint ein Angriff auf die Türkei aus dem Westen ausgeschlossen. Selbst von den ewigen Feinden im Westen, Griechenland und Bulgarien, erwartet niemand am Bosporus, der noch alle Sinne beisammenhat, einen militärischen Überfall. Aus dem Norden, jenseits des Schwarzen Meeres, könnte nur Russland angreifen. Sich dagegen mit einem russischen Waffensystem wehren zu wollen, wäre nicht sehr Erfolg versprechend.

Im Osten der Türkei liegt Aserbaidschan, Armenien, Georgien und Iran.
Aserbaidschan ist seit vielen Jahren ein enger Freund der Türkei.
Ein Angriff aus Armenien und Georgien wäre angesichts des Kräfteverhältnisses zwischen diesen Staaten und der Türkei absurd.
Der Iran weiß genau: Wenn er (das NATO-Mitglied) Türkei angreifen würde, dann lieferte Teheran den USA nur den lange ersehnten Grund, gegen die Mullahs loszuschlagen. Außerdem hat der stellvertretende türkische Staatspräsident Fuat Oktay vor kurzem noch einmal bekräftigt, Ankara lasse sich nicht von den USA in keinen Konflikt mit Teheran treiben. „Der Iran ist unser Nachbar und nicht ein Staat, der 10.000 km weit weg ist. Nur weil einige Länder Sanktionen gegen unseren Nachbarn erlassen wollen, können wir nicht unsere Wirtschaftsbeziehungen (zum Iran) abbrechen“ (24.5.2019)

Angriff aus dem Süden ?

Im Süden der Türkei liegen der Irak und Syrien. Im Nordirak operiert die Türkei seit einigen Wochen selbst mit eigenen Truppen und Kampfflugzeugen ‚gegen die PKK’. Im Norden Syriens hat die türkische Armee seit Monaten eigene Truppen stationiert. Außerdem sind der Irak und Syrien seit Jahren vor allem damit beschäftigt, den eigenen Staat zusammenzuhalten. Von ihnen droht kaum eine Offensive gegen türkisches Territorium. Gegen mögliche Attacken mit Raketen sog asymmetrischer Kampfverbände in dieser Region hat die NATO seit längerer Zeit der Türkei Patriot-Raketenabwehrsysteme zur Verfügung gestellt.

Über all diese Fragen wurde – wie gesagt - im türkischen Parlament noch nie debattiert. Keiner fragte: Was kaufen wir da – was kriegen wir dafür? Wir kaufen ein teures russisches Raketenabwehrsystem, das wir eigentlich gar nicht brauchen – und verzichten dafür auf ein modernes amerikanisches Kampfflugzeug (F-35), verschlechtern nachhaltig unsere Beziehungen zu den USA und der NATO, gefährden damit unsere Sicherheit und handeln uns möglicherweise noch schwere wirtschaftliche Probleme auf den Hals.

Wieso also?

Für all dies gäbe es nur eine schlüssige Antwort, meinen einige Beobachter: Es gibt garkeinetürkische Außenpolitik. Es gibt nur die türkische Innenpolitik des ehemaligen Regierungschefs und jetzigen Präsidenten Tayyip Erdogan. Die bestimmt er alleine – und die betreibt er auch im Ausland. Dabei geht es aber vor allem darum: Was nutzt es der Innenpolitik. Deshalb erscheinen alle Äußerungen Erdogans oder des Außenministers zu Fragen der Bündnispolitik, der EU, der NATO oder anderen Staaten beliebig und widersprüchlich.

Innenpolitisch steht für Tayyip Erdogan an erster Stelle der Kampf gegen „den Terror“ – und das heißt: Kampf gegen die PKK im Inland und im Nordirak und der Kampf gegen den syrischen PKK Ableger, die YPG, im Norden Syriens; außerdem der Machtkampf gegen seine mutmaßlichen Todfeinde im eigenen Lager, die Anhänger des Predigers Gülen, der selbst in Amerika residiert. Die nennt er ‚FETÖ’, Fethullah Gülen Terör Örgütü (Terror-Organisation).
Während nun alle anderen Staaten der G20 in Japan Ende Juni über den freien Welthandel und den Klimawandel streiten – berichten die regierungsnahen Medien, der türkische Staatspräsident habe in Japan vor der weltweiten Gefahr von FETÖ gewarnt.

Putin ergreift seine Chance

Die vollständige Abhängigkeit in allen wichtigen Sicherheitsfragen von den USA und der NATO kratzt Erdogan seit langem. Konkret liegt er mit Washington schon viele Jahre übers Kreuz in der Iran- und Israel-Politik, denn mit einer Kontra-Iran und Pro-Israel Politik lässt sich im innenpolitischen Getümmel am Bosporus kein Blumentopf gewinnen. Bereits 2012 liebäugelte Erdogan mit dem Kauf eines chinesischen Raketenabwehrsystems. Er hoffte, so in eine stärkere Position gegenüber den Vereinigten Staaten zu kommen. Doch dazu kam es nicht. Die NATO runzelte nur besorgt die Stirn und die USA drohten mit Sanktionen. Als Erdogan im Kampf gegen die YPG im Norden Syriens immer heftiger an die USA geriet und fast wöchentlich die mangelnde Unterstützung durch Washington beklagte, ergriff Putin seine Chance.

Russland verschaffte der Türkei die Möglichkeit, in Syrien militärisch einzugreifen – und bot Ankara gleichzeitig den Kauf des russischen Raketenabwehrsystems an. Als Erdogan darauf einging – war er in der Klemme. Er konnte den Deal mit Putin nicht mehr absagen, sonst wäre Schluss mit der Militärmacht Türkei, die in Syrien und Nordirak operiert, als handle es sich um ihren Hinterhof. Das kann ihm Putin erheblich erschweren.

Stattdessen liefert Russland nun die S-400 – während die türkische Armee neuerlich schweres Gerät an der Grenze zu Syrien zusammenzieht und die regierungsnahe Presse in Ankara von einer neuen Offensive türkischer Truppen im Norden Syriens schreibt. Unterdessen schreibt die russische Tageszeitung Kommersant: Großes Lob für Erdogan! Sieg über den Westen!

Innenpolitik - um jeden Preis

Innenpolitisch kann Erdogan Donald Trump nicht nachgeben. Er stünde als Weichei, als Umfaller vor Amerika da, hatte er doch immer wieder anti-amerikanische Parolen ausgegeben: Washington(!) müsse sich endlich entscheiden, ob es zur Türkei oder den Terroristen hält.

Selbst der Vorsitzende der größten Oppositionspartei CHP, Kilicdaroglu, will nicht als halbherziger Nationalist dastehen und erklärt: Es sei natürlich das Recht der Türkei, das S-400 Raketenabwehrsystem zu erwerben (13.07.)

Tayyip Erdogan muss  noch demonstrativer als standhafter Nationalist auftreten, vor allem, seit er mit den Rechtsnationalisten (MHP) ein enges Bündnis einging. Aber um welchen Preis?

Neben dem offenen Konflikt mit den Vereinigten Staaten droht zum ersten Mal ein ernster Bruch in der militärischen Zusammenarbeit der NATO. Einziger Gewinner dabei ist Putin, so der türkische Experte für internationale Beziehungen, Erhan Kelesoglu.

Ohne auch nur einen Schuss abzugeben, kann Putin einen Keil zwischen NATO Staaten treiben, sodass der eine dem anderen mit ‚Vergeltung’ droht, und das alles ohne irgendwelche Kosten, im Gegenteil, nebenbei verdient Russland damit auch noch ein ordentliches Sümmchen Geld.

Wie geht es nun weiter?

Treffen die amerikanischen Sanktionen die Türkei hart, wird Erdogan dann ‚hart’ zurückzuschlagen? Seinen Außenminister Mevlüt Cavusoglu ließ er schon vor einem Monat (14.6.) drohen: ‚Wenn sie (die USA) Sanktionen gegen uns verhängen, dann werden auch wir Sanktionen gegen die USA erlassen’. Verbietet Erdogan dem US Militär die Nutzung der Radarstation nahe der Stadt Malatya im Südosten der Türkei? Oder gar die Nutzung des US Stützpunktes im Südosten der Türkei, in Incirlik, auf dem die USA auch Nuklearwaffen gelagert hat?

Der Konflikt hat gerade erst begonnen. Dabei zeigt sich Ankara nicht nur als „schwieriger Partner“. Es ist ein Bruch im nordatlantischen Verteidigungsbündnis, der das Potential hat, zu einem dauerhaften Schaden im Verhältnis der Türkei zu den USA und der NATO zu werden. Schon vor eineinhalb Monaten, Ende Mai, hat der türkische Staatspräsident beim Fastenbrechen mit Vertretern der türkischen Jugend, angekündigt: ‚Nach dem Kauf des S-400 Raketenabwehrsystems werden wir uns mit dem Kauf des S-500 Systems befassen und dabei geht es auch eine gemeinsame Produktion (dieses Systems mit Russland)’

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