Ist ein dauerhafter Frieden im Südosten der Türkei in Sicht– oder nur ein vorübergehender Waffenstillstand, wie schon so oft ? Immerhin spricht die Regierung in Ankara nun offiziell mit dem PKK Führer Abdullah Öcalan über die Lösung der Kurdenfrage.

 

Syrien versinkt mehr und mehr im Chaos des Bürgerkrieges und bedroht zunehmend die Stabilität aller seiner Nachbarstaaten; die Zahl der Attentate im Irak nimmt zu, die Gräben zwischen den Glaubensrichtungen und Ethnien werden immer tiefer; jede weitere erfolglose Verhandlungsrunde zum Atomprogramm im Iran bringt die Region einem Militärschlages gegen Teheran näher - und dazwischen leuchtet der türkische Regierungschef Tayyip Erdogan wie ein Kandidat für den Friedensnobelpreis. Die Aussöhnung Ankaras mit Tel Aviv ist auf gutem Wege - und in der Kurdenfrage scheint die Regierung heute einer Lösung näher als je zuvor.

Alle hoffen, dass dieses Mal mehr ausgehandelt wurde, als nur wieder Mal ein Waffenstillstand, so wie er schon sechs Mal ausgerufen wurde, seit der PKK-Führer Abdullah Öcalan in Haft ist (1999) Die Einzelheiten kennen nur wenige, aber offenbar sprach die Regierung darüber mit der PKK bereits seit letztem Sommern.

Zum ersten Mal ...

Was ist dieses Mal anders? Zum ersten Mal hat die Regierung offen mit Abdullah Öcalan verhandelt. Für den war dies seit Jahren eine grundlegende Bedingung für ernsthafte Friedensgespräche. Für Tayyip Erdogan war das ein Risiko. Immerhin sprachen sich noch im September letzten Jahres 50 % der Türken gegen direkte Gespräche Ankaras mit dem PKK-Chef aus. Tayyip Erdogan hat damit das Image Abdullah Öcalans vom „Babymörder“, mit dem man sich nicht an einen Tisch setzen kann, zum unverzichtbaren Gesprächspartner bei Friedensverhandlungen aufgewertet. Dabei blieb er, trotz zweier Bombenanschläge im Regierungsviertel von Ankara vergangene Woche.

Beide Seiten haben das enge Zeitfenster für die Vorbereitung einer dauerhaften Lösung der Kurdenfrage rechtzeitig erkannt: In den nächsten eineinhalb Jahren finden in der Türkei Kommunalwahlen, Parlamentswahlen und Präsidentschaftswahlen statt. Ausserdem steht die Verabschiedung einer neuen Verfassung auf der Tagesordnung. Gelingt es Tayyip Erdogan in dieser Zeit, sichtbare Fortschritte bei der Lösung der Kurdenfrage zu präsentieren, steht sein Wahlsieg schon jetzt fest. Gleichzeitig könnte er mit einer neuen Verfassung auch ein Präsidialsystem einführen, das ihm dann als Präsidenten der Republik Türkei weit mehr Rechte einräumt als bisher. Gewinnt er im Zuge der Friedensverhandlungen dafür die Abgeordneten der kurdennahen BDP, dann hat er die nötige Mehrheit im Parlament, um über solch eine Verfassung in einem Referendum abstimmen zu lassen, was immer die anderen Oppositionsparteien auch dagegen sagen. Der Vorsitzende der BDP hat schon Gesprächsbereitschaft über solch ein Präsidialsystem angedeutet.

Abdullah Öcalan und die der PKK nahestehenden Organisationen wissen ihrerseits, dass sie nur bis zu den Präsidentschaftswahlen und der Verabschiedung einer neuen Verfassung in einer starken Position sind, um dauerhafte Verhandlungsergebnisse zu erreichen. Gelingt das, dann rechnen schon jetzt die meisten Beobachter am Bosporus damit, dass Abdullah Öcalan nach 2015 von seiner Gefängnisinsel Imrali freigelassen und zu „Hausarrest“ begnadigt wird. Zwar hatte die Regierung noch Anfang März jede Art von Amnestie für PKK Kämpfer kategorisch ausgeschlossen, aber das wird sich nicht halten lassen, wenn tatsächlich Frieden einkehrt.

Rückzug bewaffneter PKK Einheiten bis November ?

Wie langwierig jeder einzelne Schritt in diesem Prozess sein kann, zeigt schon das Ringen um die 1. Etappe einer Friedenslösung: Der Abzug der bewaffneten PKK Einheiten aus der Türkei in den Nordirak. Überall wird berichtet, beide Seiten hätten sich darüber verständigt. Aber es gibt dafür weder eine eindeutige Erklärung oder gar einen Zeitplan von Abdullah Öcalan noch von Tayyip Erdogan. Der Chef der kämpfenden PKK Truppen im Nordirak, Murat Karayilan, ließ sich inzwischen zitieren, ein vollständiger Rückzug sei vor November nicht möglich.

Werden wirklich alle bewaffneten PKK-Mitglieder aus der Türkei abziehen? Was, wenn radikale Kämpfer der PKK dem Aufruf von Abdullah Öcalan nicht folgen und weiter kämpfen? Dass solche Kräfte auch mit linksradikalen, gewaltbereiten Organisationen in der Türkei zusammenarbeiten, die ihrerseits für etliche Anschläge in den Großstädten des Landes verantwortlich sind, ist bekannt.

Hat die Regierung das Militär so weit unter Kontrolle, dass kein Kommandeur die abziehenden PKK Kämpfer angreift? Braucht es ein besonderes Gesetz, das solch einen ungehinderten Abzug ermöglicht? Immerhin wurden PKK-Kämpfer, die nach ähnlichen Friedensverhandlungen Ende 2009 als „Voraustrupp“ aus einem Camp im Nordirak in die Türkei zurückkehrten, aufgegriffen und wegen Mitgliedschaft in einer Terrororganisation zu 16 Jahren Haft verurteilt. Was heißt das für den Nordirak, wenn sich dort einige tausend Bewaffnete niederlassen, was bedeutet das für den Bürgerkrieg in Syrien? Seit Dienstag ist der Chef der nordirakischen Regierung, Necirvan Barzani, in Ankara und weist darauf hin, es gebe zahlreiche PKK-Mitglieder aus dem Iran und Syrien. Nicht alle sollten in den Nordirak kommen, jeder solle in sein eigenes Land zurückkehren.

Ein langer und schwieriger Neubeginn

Wenn schon der erste Schritt in Richtung Frieden fast ein Jahr in Anspruch nimmt, wie lange wird es wohl dauern, bis geklärt ist, wie man mit den abertausend Häftlingen und Angeklagten umgehen will, die wegen Mitgliedschaft oder Unterstützung der PKK in türkischen Strafanstalten sitzen? Wie wird die „Reintegration“ von PKK Kämpfern und ihrer Organisationen als anerkannte politische Bewegung gelingen? Wann hat man sich über die Einzelheiten einer kulturellen und/oder demokratischen Autonomie des Südostens der Türkei verständigt? „Dies ist kein Ende, sondern ein Neubeginn. Der Kampf ist nicht zu Ende, sondern ein neuer, anderer Kampf beginnt”, schreibt Öcalan in seinem Friedens-Aufruf – ein langer und sehr schwieriger, sollte man hinzufügen.