Waffenstillstand, Verhandlungen – oder doch neue Militäroperationen ? Die türkische Regierung und die PKK – beide Seiten wollen einen Frieden, der nur ihnen nutzt.

 

 

 Drei Tage lang soll Frieden herrschen – während des Zuckerfestes nach dem Fastenmonat Ramadan. Das druckt die PKK nahe Nachrichtenagentur Firat. Dabei war der Waffenstillstand, den die PKK offiziell am 13. August 2010 ausgerufen hatte, nie beendet worden. Aber darüber spricht inzwischen keiner mehr.

Rund 30 Soldaten oder Polizisten starben bei Überfällen der PKK oder durch deren Sprengfallen in den letzten Wochen im Südosten der Türkei, Dutzende Bewohner wurden in der gleichen Zeit von der PKK in entführt, vom bekannten Geschäftsmann bis hin zum Bauarbeiter. Zweimal explodierten sogar Sprengkörper am Urlauber-Strand von Antalya, 10 Touristen wurden vergangenes Wochenende leicht verletzt. Es waren jedoch eher ein Knallkörper und vor allem als Warnung gedacht: Wir können auch noch anders.

Neue Strategie – oder alles wie früher

Die türkische Luftwaffe will währenddessen bei Angriffen auf PKK Lager im Nordirak über 100 Menschen getötet haben . Ankaras Bodentruppen bereiten offenbar auch den Einmarsch in den Nordirak vor. Über Abdullah Öcalan wurde auf seiner Gefängnisinsel eine Kontaktsperre verhängt. Beim traditionellen Händeschütteln zum Zuckerfest schneidet die Regierung die Kurdenpartei BDP. Stattdessen spricht der türkische Regierungschef Tayyip Erdogan von einer „neuen Strategie“ im Kampf gegen die PKK – und die klingt wie ein Lied aus dunklen Tagen: Entschlossener Kampf gegen den Terrorismus ! Spezialtruppen im Südosten ! Unterstützer und Sympathisanten der Terroristen werden nicht geschont ! – usw usw. Alles wie früher?

Sechs Jahre ist es her, dass der Regierungschef Tayyip Erdogan zum ersten Mal öffentlich eingeräumt hat (August 2005) : Es gibt ein Kurdenproblem. Eineinhalb Jahre sind vergangen, seit er den „Kurdenplan“ zur Lösung des Konfliktes im Südosten ausrief (Juli 2009). Seither hat sich einiges geändert. Inzwischen muss er nicht mehr das Militär um Duldung seiner Kurdenpolitik bitten, wie noch vor 2 Jahren. Inzwischen scheint es sogar ganz selbstverständlich, dass die Regierung mit Öcalan über eine Entwaffnung der PKK verhandelt. Und jetzt?

Die Regierung zweifelt: Was wenn ...

Vor gut einem Monat, gerade als diese Friedensgespräche konkret wurden, tötete eine PKK Einheit im Südosten 13 türkische Soldaten bei einem Überfall auf einen Militärkonvoi. Mit einem Mal hatte sich die Lage grundlegend geändert. Wieso? Die Regierung zweifelt inzwischen, ob Öcalan der richtige, der einzige Ansprechpartner in Sachen Entwaffnung der PKK ist. Was, wenn es einen Machtkampf innerhalb der PKK gibt? Was, wenn die PKK Kommandanten in den irakischen Bergen auf eigene Rechnung agieren?

Was, wenn Syriens Assad einen Teil der PKK gegen Ankara unterstützt, nachdem die türkische Regierung Assad öffentlich fallen liess? Immerhin stammt fast ein Drittel der PKK Kämpfer und einer ihrer Kommandanten, Cemil Bayik, aus Syrien.

Professor Sedat Laciner, Chef eines wichtigen Thinktanks USAK in Ankara und Berater Tayyip Erdogans vermutet gar eine verdeckte Unterstützung Israels für Teile der PKK, seit die türkisch-israelischen Beziehungen um den Gefrierpunkt schwanken.

Die Kurdenfrage ist schon lange ein internationaler Konflikt

Was, wenn inzwischen auch der Iran mitmischt? Verliert Assad die Macht in Syrien, verliert auch der Iran. Das Kräfteverhältnis zwischen Teheran und Ankara in der Region änderte sich signifikant. Das will der Iran natürlich verhindern. Kaum begann die türkische Armee an der irakischen Grenze Truppen zusammenzuziehen, reiste Necirvan Barzani, einer der wichtigsten Kurdenpolitiker im Nordirak nach Teheran. Wieder zurück erklärt er. die nordirakischen Kurden würden nun ihre Kämpfer an der Grenze zur Türkei aufmarschieren lassen, um einen Einmarsch der Türken zu verhindern.

Die Kurdenfrage ist schon längst zu einer komplizierten internationalen Frage geworden. Ohne konkrete Hilfe bei der Aufklärung durch das US-Militär könnte Ankara nicht einmal seine Kampfflugzeuge in den Nordirak schicken.

Andere Berater der türkischen Regierung aber raten zu Gelassenheit. Der Machtkampf innerhalb der PKK sei eine Schimäre. Öcalan habe schon immer mit beiden Karten gespielt, mit der Gewalt und dem Friedensangebot. Zur Zeit zeigten beide Seiten nur noch einmal all ihre Folterinstrumente, bevor die Verhandlungen weitergeführt werden.

Frieden ja – aber ...

Selbst wenn das stimmt, die Verhandlungen sind schwierig. Beide Seiten wollen offenbar nur einen Frieden, der ausschließlich ihnen nutzt. Für die PKK ist die AKP politisch zu einem ernstzunehmenden Gegner geworden. Sie schickt nicht nur zu Wahlzeiten einen Redner durch den Südosten, sie hat eine Organisation aufgebaut, die bis in die Dörfer reicht. Sie hat erste Reformen durchgeführt, gilt als Gegner des türkischen Militärs und steht als islamisch-konservative Partei vielen gläubigen kurdischen Bauern oft näher als die PKK. Wie stark wird der Einfluss der AKP, sollte ihr wirklich ein dauerhafter Frieden gelingen?

Tayyip Erdogan wiederum weiss nicht, wie stark eine politische Kurdenbewegung wird, wenn sich die PKK offen politisch organisieren kann. Unklar ist auch, ob er bei einem harten Kurs gegen die PKK mehr Stimmen gewinnt, als er bei einem versöhnlichen Kurs im Südosten vor allem im Westen verlieren könnte.

So wird ab kommenden Samstag, oder vielleicht auch erst ab Montag, wieder geschossen werden. Gleichzeitig signalisiert aber auch die Kurdenpartei BDP, dass sie bereit ist, ihren Boykott des türkischen Parlamentes nach den Parlamentsferien aufzugeben.