Dieter Sauter
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Geheimakte Kurden?

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Erstellt: 25. August 2018

Seit 23 Jahren fordern Mütter und Väter in Istanbul Aufklärung, wer ihre Kinder ermordet hat. Vieles ist bis heute unklar in der sog Kurdenfrage der Türkei.

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Es ist schon fast ‚wie immer’: In der bekanntesten Einkaufsstraße von Istanbul (Istiklal-Caddesi) wollen Menschen friedlich protestieren – und werden mit Tränengas und Gummigeschossen von der Polizei daran gehindert. Fast wie immer – denn dieses Mal nimmt die Polizei auch alte Frauen fest. Es sind Teilnehmerinnen der hartnäckigsten Bürgerbewegung des Landes, der ‚Samstagsmütter’.

Seit 23 Jahren setzen sich jeden Samstag Mütter, Väter, Brüder, Schwestern mitten in Istanbul auf einen Platz und wollen von den Behörden wissen, was mit ihren Angehörigen geschehen ist, wer sie umgebracht hat und weshalb. Sie mahnen seit 23 Jahren: Es geht bei der Kurdenfrage nicht nur um die PKK. Viele Kurden lassen sich nicht mit militärischen Mitteln befrieden, oder mit Hilfe geheimer Kommandoaktionen. Vor der Aussöhnung ist Aufklärung unerlässlich.

 

Massengräber und Leichen am Straßenrand

Etliche halten Fotos von ihren Angehörigen hoch, und protestieren so gegen die Gleichgültigkeit der Politiker in Ankara. Seit Beginn dieser Bewegung am 25. Mai 1995, versucht die Polizei Immer wieder, sie mit Schlagstöcken und Tränengas zu vertreiben. Manchmal wurden alle Demonstranten in Polizeibusse gezerrt und weggefahren. Sie kamen immer wieder, manchmal kamen nur eine Handvoll, manchmal ein paar Hundert. Dieses Mal kamen auch Abgeordnete der Oppositionsparteien CHP und HDP, denn es war die 700. Protestaktion der Samstagsmütter – und auch sie war vom Innenministerium über den Landrat von Istanbul verboten worden.

Vor allem in den 90 iger Jahren, als der Krieg zwischen der PKK und den türkischen Sicherheitsbehörden besonders blutig war, verschwanden Tausende im Südosten der Türkei. Oft waren sie von der Polizei oder der Gendarmerie zu Hause abgeholt worden, oder man hatte sie in die Garnison vor Ort zu einer „Aussage“ bestellt, oder sie waren bei einer Straßenkontrolle des Militärs festgehalten worden. Das ist oft das letzte, was ihre Angehörigen vom Verbleib der Vermissten wissen.

 

Mordkommandos unter wessen Befehl?

Viele fand man später tot in Straßengräben, in Abwasserkanälen, auf Müllhalden oder auf einem Acker. Schließlich entdeckten Bauern mehr als 10 später in verschütteten Brunnen menschliche Knochen, Arbeiter stießen beim Straßenbau auf Massengräber oder Hobby-Archäologen beim Graben im Wald. Der türkische Menschenrechtsverein zeichnete vor einem Jahr eine Karte mit 253 Fundorten menschlicher Überreste von 3.248 Vermissten, die in den vergangenen Jahren entdeckt wurden. Das Schicksal dieser Menschen wurde bis heute nicht aufgeklärt.

Wie viele damals ermordet wurden, ist umstritten. Die Menschenrechtsvereine sprechen von mehr als 15 tausend, darunter Geschäftsleute, Politiker der Kurdenbewegung, Lehrer, Bauern, denen eine Verbindung zu PKK nachgesagt wurde, oder die offen für mehr Rechte der Kurden eintraten oder sich geweigert hatten, in eine Miliz einzutreten, die von der Armee auf den Dörfern im Südosten gegen die PKK aufgebaut wurde.

Wer hat diese Mordkommandos losgeschickt, wer hat sie finanziert? Einige Offiziere der Armee und Polizei, die verdächtigt worden waren, solche Mörderbanden befehligt zu haben, konnten nicht mehr aussagen. Sie waren selbst von ‚unbekannten Tätern’ erschossen worden. Einige Attentäter wurden als Agenten des Geheimdienstes der Gendarmerie, JITEM, enttarnt. 2011 beschloss das Parlament dann die Einrichtung eines Untersuchungsausschusses zur Aufklärung all dieser Morde. Seither hat niemand mehr etwas von ihm gehört.

 

Das rätselhafte Ende der Friedensverhandlungen

Rätselhaft bleiben auch die Morde an den Polizisten in der südostanatolischen Stadt Ceylanpinar am 22. Juli 2015. Dieses Verbrechen ist auch ein besonderes, denn Tayyip Erdogan schrieb die Morde der PKK zu, und erklärte deshalb die Friedensverhandlungen mit den PKK-Führer Abdullah Öcalan für beendet.

Tatsächlich hatten aber alle damaligen Führer der PKK erklärt, die PKK habe mit diesen Morden nichts zu tun.

Die Polizei nahm zwar rasch vier Verdächtige fest. Nach zwei Jahren Untersuchungshaft hatte sie aber immer noch keine stichhaltigen Beweise gegen sie in der Hand. In den Akten fanden sich offenbar lediglich zwei Telefonanrufe bei der Polizei, in denen die Verdächtigen beschuldigt werden. Später stellte sich heraus, beide Anrufe kamen von der gleichen Telefonnummer. In der Wohnung der ermordeten Polizisten fand man keine Fingerabdrücke der Beschuldigten - stattdessen die eines Polizeibeamten, der behauptet hatte, er sei nie in dieser Wohnung gewesen. Das schrieb unwidersprochen die Journalistin Ayse Yildirim in der Zeitung Cumhuriyet.

Andere fanden heraus, dass Kameraaufzeichnungen, die hätten beweisen können, dass die Verdächtigen während der Tatzeit an einem anderen Ort gewesen waren, von der Staatsanwaltschaft gelöscht wurden.

 

Dichtes Dunkel

Der Richter, der die Verdächtigen einsperren ließ, wurde zwei Jahre später als mutmaßliches Mitglied der so genannten Gülen Bewegung verhaftet. Das ist von Bedeutung, denn die Gülen-Bewegung war von Anfang an erbittert gegen die Friedensverhandlungen mit Öcalan. Selbst der Staatsanwalt, der die Anklageschrift verfasste, war anscheinend Mitglied der Gülen-Bewegung und auch der Staatsanwalt, der die Autopsie der getötete Polizeibeamte überwacht hatte sowie 22 weitere Polizisten vor Ort. Der Journalist Alper Görmüs hält es deshalb auch für möglich, dass nicht die PKK sondern Mitglieder der Gülen-Bewegung die Morde an den Polizisten in Auftrag gegeben haben, um die Friedensverhandlungen der Regierung mit der PKK zu stören.

Doch die Ermittlungen in diesem Mordfall sind abgeschlossen. Niemand bemüht sich Licht in das dichte Dunkel des Falles zu bringen.

Dabei änderte die Rückkehr der Regierung zur „militärischen Lösung“ der sog. Kurdenfrage fast alles in der Innenpolitik und in der Außenpolitik des Landes. Allein in den darauffolgenden zwei Jahren starben in der Türkei fast 500 Soldaten und Polizisten und 250 Zivilisten – 2.500 wurden verletzt. Nicht mitgezählt sind die Opfer der Bombenattentate.

Auch die kurdennahe Partei HDP hat offensichtlich ihre Politik gegenüber der PKK geändert - ohne dass es dafür eine Erklärung gibt

So liegt auch im Dunkeln, was aus dem PKK Führer Abdullah Öcalan wurde. 15 Jahre lang, seit seiner Inhaftierung 1999, berichteten alle Zeitungen regelmäßig über den Besuch seiner Anwälte bei ihm. Vor allem ‚kurdennahe’ Medien druckten sogar immer wieder Botschaften des PKK Führers von seiner Gefängnisinsel Imrali. Einige wurde wie offizielle Botschaften auf großen Kundgebungen im Südosten der Türkei (Diyarbakir) vorgetragen.

 

Was ist mit Abdullah Öcalan?

Bis 2015, bis die Regierung ‚offiziell’ die „Friedensverhandlungen“ mit der PKK beendete. Schlagartig gab es keine Nachrichten mehr vom PKK Führer. Anfang 2016 sorgten sich dessen Anwälte, weil Öcalan in „Isolationshaft“ gehalten werde. Noch im Februar 2016 zogen in Straßburg Tausende mit der Losung „Freiheit für Öcalan“. Im Herbst 2016 gab es sogar eine „Hungerstreikkampagne“ in türkischen Haftanstalten, um weitere Gespräche mit Abdullah Öcalan zu erzwingen.

Dann verstummten alle Fragen und Frager, als gäbe es Abdullah Öcalan nicht mehr. Auch kein Politiker der kurdennahen Partei HDP fragt mehr nach ihm, obwohl die HDP Funktionäre einst besonders beharrlich wissen wollten, wie es Öcalan gehe.

Im März dieses Jahres nämlich erschien eine kleine Notiz in der Zeitung Haberturk. Der jüngere Bruder Abdullah Öcalans, Osman Öcalan, habe sich zu Wort gemeldet. Er beschuldige einen Teil der amtierenden Führung der PKK, seinen Bruder, Abdullah Öcalan, „verkauft“ zu haben. Man wolle ihn „an den Rand“ drängen – was immer das heißt. Man muss aber wissen: Osman Öcalan ist selbst eine ‚schillernde’ Figur. Er war Mitglied der PKK, wurde auch schon einmal von der PKK ‚zum Tode verurteilt’, später wurde er rehabilitiert und wieder später trat er aus der PKK aus.

Was bleibt ist der pathetische Ausruf von Tayyip Erdogan auf einer Kundgebung im Südosten der Türkei im März: „Es interessiert mich nicht, ob du Georgier, Türke oder Kurde bist. Für mich zählt nur, dass Gott, der mich geschaffen hat, auch dich geschaffen hat!“ Kein Kurde werde in der Türkei ausgegrenzt.

Unterdessen führt die türkische Armee fast täglich Kommandoaktionen gegen die PKK in der Türkei. Drüber hinaus operiert sie inzwischen auch in Syrien und Irak mit Bodentruppen gegen die PKK und die YPG, das sind syrische Kurden, die für Erdogan als PKK Ableger gelten. Dabei ist nichts geklärt – nicht einmal die militärstrategischen Ziele dieser Aktionen.


Sie verschlingen aber Unsummen. Fast täglich zählen die regierungsnahen Medien ihren Lesern vor, wie viele PKK „Terroristen neutralisiert“ wurden, als könne man die Kurdenfrage militärisch ‚ausrotten’. Kurz: Die Regierung Erdogan verfolgt in einer der wichtigsten Fragen des Landes nichts, was man einen Kurs nennen könnte. Dieses Vorgehen hielt schon vor fast 30 Jahren der damalige türkische Staatspräsident Turgut Özal für verfehlt und schädlich und für die Entwicklung der Türkei.

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