2013 war kein gutes Jahr für den türkischen Regierungschef Tayyip Erdogan. In der Aussenpolitik war das Projekt „Regionalmacht Türkei“ krachend gescheitert. Und schliesslich muss der Regierungschef auch noch fast die Hälfte seines Kabinetts neu besetzten.

 

Ob Irak, Syrien oder Ägypten , Libanon, Israel oder Palästina – Ankara ist nicht erwünscht, spielt bestenfalls keine Rolle. Innenpolitisch tauchte eine neue Opposition auf, die Gezi-Bewegung genannt wird, weil sie im Istanbuler Gezi-Park begann. Und schliesslich rollt auch noch die größte Korruptionsskandal in der Geschichte der Republik durch das Land. Der Regierungschef muss fast die Hälfte seines Kabinetts neu besetzten – es scheint, als habe Tayyip Erdogan die Kontrolle am Bosporus verloren.

Die EU zeigt sich besorgt, weil der türkische Regierungschef nun reihenweise Polizeioffiziere feuert und Staatsanwälte rumkommandiert. Jedoch: Es geht nicht um den Streit der Guten gegen die Bösen, den Kampf des unbeugsamen Staatsanwaltes gegen den Diktator, den unbestechlichen Polizisten gegen eine bestechliche Regierung.

Die schlechte Nachricht ist ...

Gewaltenteilung in der Türkei ? Polizei und Justiz waren noch nie unabhängig. Hat sich die Polizei in der neunziger Jahren nicht auf Befehl des damaligen Innenministers an tausenden von Morden im Südosten der Türkei beteiligt. Immerhin soll jener Minister dafür nun vor Gericht gestellt werden? Und die Justiz? Als die AKP mit Mehrheit gewählt wurde, war fast jeder Richterspruch ein Versuch, deren Regierungsarbeit zu unterlaufen, denn die Justiz war fest in der Hand der abgewählten Kemalisten. Selbst gegen Preiserhöhungen bei Busfahrkarten schritten die Richter ein – und schliesslich sollte die Regierungspartei ganz verboten werden.

Tayyip Erdogan reformierte Justiz, Polizei und Armee – aber nicht im Sinne von mehr Demokratie oder Gewaltenteilung. Er hat dort lediglich selbst die Kontrolle übernommen – auch mit Hilfe der Anhänger eines Predigers des Islam, Fethullah Gülen, der im amerikanischen Pennsylvania residiert, und mit dem er bis vor kurzem gut Freund war. Doch nun dirigiert der im türkischen Staatsapparat mit und Tayyip Erdogan weiss nicht, wie er ihn unter Kontrolle bringen soll. Also feuert oder versetzt er alle Gülen-Anhänger, die ihm bekannt sind. Es ist ein Kampf um die Macht im Staat.

2013 war kein gutes Jahr für Tayyip Erdogan. Die schlechte Nachricht ist: 2014 wird für ihn voraussichtlich nicht besser.

Absurd

Inzwischen gehen zwar „Friedensangebote“ aus Amerika ein – und der türkische Wähler erfährt aus der Zeitung, dass der türkische Staatspräsident und Regierungschef mit einem Prediger in den USA darüber verhandelt, wie die Staatskrise am Bosporus zu lösen sei. Absurd.

Wird Erdogan diese Krise meistern ?

Der Imageverlust im Ausland wird ihm dabei mehr zu schaffen machen als der im Inland. Der Bürger der Republik Türkei kennt Korruption, solange er zurückdenken kann. Unter der Regierung Erdogan bekam er immerhin ein besseres Gesundheitswesen und Schulwesen, breitere saubere Straßen, U-Bahnlinien, und die Wirtschaft auch auf dem flachen Land florierte. Und wo ist der, der das besser macht ?

Die ausländischen Investoren zweifeln inzwischen dagegen ernsthaft am „Modell Türkei“. Weltweit verlor kein Anleger 2013 so viel Geld wie der türkische Aktienbesitzer in Istanbul. Allein im Dezember stürzte die türkische Börse um 15 % ab.

In der Klemme

Der „unsichere Partner“, titulierte das deutsche „Handelsblatt“ vor wenigen Tagen.

Den Mittelstand, der Kredite aufgenommen hatte, um seinen Betrieb vorwärts zu bringen, trifft das besonders. Die privaten Auslandsschulden der Türken betragen rund 250 Milliarden $. Allein wegen des Verfalls der türkischen Währung in den letzten Wochen hat er plötzlich 30 % mehr Schulden. Dazu steigen die Energiepreise, darüber steigen alle Verbraucherpreise, die Inflation nimmt wieder zu. Der anatolische Mittelständler, der treueste Anhänger der AKP, er steckt ernsthaft in der Klemme.

Das kann Tayyip Erdogan zunächst bei den Kommunalwahlen im März Stimmen kosten. Die Wahlen wird er gewinnen, aber verliert er 5 % oder mehr Stimmen gegenüber 2009, dann könnte es in seiner Partei noch unruhiger werden, als jetzt. Keinen würde es wundern, wenn dann plötzlich heikle Dokumente über Korruption in der Familie Erdogan auftauchten. Nicht einmal die Spaltung der AKP scheint dann noch ausgeschlossen, sollte sich ein Königsmörder von Format finden.

Darüber könnte das Projekt „neue Verfassung“ endgültig scheitern. Damit wäre aber auch die Lösung der Kurdenfrage ernsthaft in Gefahr – und Erdogans Plan, sich im August zum Präsidenten der Republik Türkei wählen zu lassen, wäre Makulatur. „ Es ist möglich, dass die politischen und sozialen Spannungen in der Türkei vor der Kommunalwahl und der Präsidentschaftswahl noch zunehmen“, urteilt die Ratingagentur Fitch Anfang dieser Woche – mit der Folge, dass das Land schwerer als bisher Kredite auf den internationalen Finanzmärkten erhält.

Nichts aber braucht die türkische Wirtschaft mit ihrem beunruhigend grossen Leistungsbilanzdefizit so dringend wie Geld aus dem Ausland. Der Prediger in Pennsylvania kann den Tumult am Bosporus aussitzen. Er muss sich ja keiner Wahl stellen.