Türkische Politiker und ihre Presse am Bosporus überbieten sich gegenseitig mit anti-israelischen und anti-semitischen Parolen angesichts des Konfliktes im Nahen Osten. Dabei haben sie vor allem die kommenden Präsidentschaftswahlen im Blick.

140719 Hitler

 

Die regierungsnahe Zeitung Akit in der Türkei unterhält ihre Leser heute mit einem Kreuzworträtsel. Wer alle Kästchen richtig ausgefüllt hat, erhält unter einem Bild von Adolf Hitler die Lösungs-Worte: Wir brauchen dich.

Manche Kommentatoren überschlagen sich mit antisemitischen Pamphleten. ‚Israel massakriert Palästinenser’. ‚Wenn ein Zionist sterben würde, wäre die ganze Welt auf den Beinen.’ Sie wissen sich gut aufgehoben, denn auch die türkischen Politiker überbieten sich gegenseitig mit anti-israelischen Parolen angesichts des immer blutigeren Konfliktes zwischen der Regierung in Tel Aviv und der Hamas im Gaza-Streifen.

Staatspräsident Gül meint: „Israels Aggression sät Hass nicht nur in Palästina, Israel wird so auch mehr und mehr zu einem Teil des Fundamentalismus in der ganzen Welt“.

Schon am vergangenen Freitag erklärte der Regierungschef Tayyip Erdogan: „Israel ist ein Land, das den Frieden auf der ganzen Welt bedroht. Es war nie für den Frieden“. Auf den Hinweis, dass solche Äußerungen seinem Ansehen in der westlichen Staatengemeinschaft schaden könnten, meint er nur: „Der Westen mag anders reagieren. Ich habe nie versucht, mit Hegemonialmächten zu sympathisieren, ich werde das auch nie tun“. Die Offensive der israelischen Armee im Gazastreifen ist für ihn ein Völkermord. Hatte nicht die Hamas zuerst Israel mit Raketen angegriffen und jede Waffenruhe abgelehnt? Waren da nicht zuerst drei israelische Jugendliche im Gazastreifen ermordet worden? „ Das sind doch alles Lügen. Israel ist das Land, das genau weiß, wie man Kinder umbringt“, erklärt er.

Schon einmal hatte Tayyip Erdogan Israel als Mörder beschimpft, damals im Januar 2009 auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos, als der israelische Staatspräsident Schimon Peres die Militäroperation der israelischen Armee im Gazastreifen verteidigte. Zuhause wurde er dafür von seinen Anhängern als „Eroberer von Davos“ gefeiert. Auch damals stand das Land kurz vor Wahlen. Zwei Monate später fanden am Bosporus Parlamentswahlen statt. Es spricht viel dafür, dass Erdogan auch diesmal mit seinen anti-israelischen Parolen vor allem die bevorstehenden Präsidentschaftswahlen im Auge hat.

Auch wenn die Republik Türkei lange Jahre als einziger Staat im Mittleren Osten gute Beziehungen zu Israel unterhielt, in großen Teilen der türkischen Gesellschaft gab es immer eine große Distanz zu dieser Politik bis hin zur offenen Ablehnung.

Bei einer Umfrage 2009 erklärten 42 % der Türken, sie wollten keine Juden als Nachbarn haben – und sie trauen den Juden ‚noch weniger als den Christen’. In der Studentenstadt Eskisehir in Zentralanatolien ließen sich Mitglieder eines so genannten Kultur Vereines in der Zeitung mit Schildern abbilden: Für Juden und Armenier kein Zutritt - Hunde erlaubt! Das war noch ein Jahr bevor das israelische Militär 9 türkischer Staatsbürger tötete, die mit einem Schiff mit Hilfsgütern die israelische Blockade des Gazastreifens durchbrechen wollten.

Seither sind die Beziehungen zwischen Ankara und Tel Aviv gänzlich zerrüttet. Schließlich, März 2013, überredet Amerikas Präsident Barack Obama die Regierung in Tel Aviv dazu, den ersten Schritt zu tun, und sich in Ankara für den Tod der neun türkischen Staatsbürger offiziell zu entschuldigen. Doch bislang hat Tayyip Erdogan selbst die unterschriftsreife Einigung über die Entschädigung der türkischen Familien mit immer wechselnden Begründungen abgelehnt.

Stattdessen erklärt der stellvertretende Parteivorsitzende der AKP, Beshir Atalay, im Juni letzten Jahres, die Gezi Park Proteste seien von der jüdischen Lobby organisiert. In der regierungsnahen Zeitung Yeni Akit beklagte sich kürzlich der Kommentator Mustafa Özcan, Juden, Schwule und Frauen hätten weltweit die stärkste Lobby. Als die amerikanische Organisation Freedom House’ Freedom of the Press die jüngsten Maßnahmen der türkischen Regierung gegen Journalisten kritisierte, wurde sie diffamiert, sie sei von der jüdischen Lobby finanziert und ihr Vorsitzender sei Jude.

Inzwischen werden die diplomatischen Vertretungen Israels in der Türkei von Demonstranten belagert, gewalttätige Banden greifen zu Steinen. Statt zu Gewaltlosigkeit und Mäßigung aufzurufen, legte Regierungschef Erdogan am Sonntag (19.7.) auf einer Wahlveranstaltung am Schwarzen Meer, in Ordu, noch nach: Der Terror-Staat Israel habe mit seiner Barbarei im Gaza-Streifen Hitler überholt.

Tel Aviv reduziert nun sein Botschaftspersonal auf ein Minimum und fordert seine Bürger auf, nicht in die Türkei zu reisen.

Nur wenige türkische Kommentatoren, wie der ehemalige außenpolitische Berater Tayyip Erdogans, Cengiz Candar, merken kritisch an: Was macht denn Tayyip Erdogan, außer rumzuproleten. Er habe mittlerweile überhaupt keinen Einfluss mehr auf die Politik im Nahen – und Mittleren Osten. Bei seinem Besuch in Ankara (18.7.) bestätigte Palästinenserpräsident Abbas, die Palästinenser hätten von sich aus die (ebenfalls mit Ankara tief verfeindete) Regierung in Kairo gebeten, in dem Konflikt mit Israel zu vermitteln.

Es war schon immer ein Problem türkischer (Außen-) Politik: Für einen scheinbaren kurzfristigen Vorteil werden längerfristige Interessen kurzsichtig geopfert. Um sich jetzt im Präsidentschaftswahlkampf als aufrechter Freund der Palästinenser gebärden zu können, der auf den Tisch haut und weder Israel noch die USA noch irgendeine Westbindung noch irgendein arabisches Nachbarland fürchtet, interessiert es ihn nicht, mit wem er nachher an einem Tisch sitzen und verhandeln muss, wenn er mal Präsident ist. Schließlich fällt so keinem sofort auf, wie sehr sich die türkische Außenpolitik in den vergangenen Jahren mit krassen Fehlern und selbstgefälligen Regionalmachtsgebärden ins Abseits manövriert hat.

Übrigens: Auch die Oppositionsparteien, die Gegenkandidaten Erdogans bei der anstehenden Präsidentschaftswahl, die sich in den letzten Tagen immer wieder als Verfechter des Friedens und des Dialogs angepriesen, schweigen zu all diesen Geschmacklosigkeiten. Es stimmt auch hier: Zu Tayyip Erdogan ist weit und breit keine Alternative in Sicht.