War das der Anfang – oder schon das Ende der Erneuerung der Republikanischen Volkspartei CHP? Was als „unblutiger Bürgerkrieg“ (Wallstreet-Journal) in der Parteienlandschaft am Bosporus begann – endete wie? Viele am Bosporus und im Ausland hoffen auf eine „erneuerte CHP“, eine „neue türkische Sozialdemokratie“.

 

Der Hoffnungsträger heisst Kemal Kilicdaroglu . Er ist 62 Jahre alt , seit Jahrzehnten Politiker, stand mal in der ersten, mal in der zweiten Reihe der CHP-Funktionäre, ein bislang folgsamer Parteisoldat, der sich auch mal öffentlich von Deniz Baykal zurückpfeifen liess, wenn er eine andere Meinung vertrat als der Parteichef. Immerhin: 1189 von 1200 Delegierten stimmten für ihn, obwohl er überhaupt nur kandidieren konnte, weil ein paar widerwärtige Filmaufnahmen aus dem Schlafzimmer des ehemaligen Parteivorsitzenden Deniz Baykal diesen in Bedrängnis brachten. Kaum einer zweifelt daran, dass dies ein Komplott aus den eigenen Reihen war. Brutus sagen deshalb die Gegner des neuen Parteichefs . Wie dem auch sei, es ist ein hässliche Fleck auf dem Hemd des Erneuerers.

Wie will der neue CHP Chef die Partei reformieren?

Viele setzen trotzdem auf ihn, denn er ist der einzige, der bisher bei Wahlen die AKP ernsthaft herausfordern konnte. Die fehlende Alternative zur Regierungspartei AKP, die fehlende Opposition im Parlament ist eine entscheidende Ursache für viele Mängel, Missstände und Unzulänglichkeiten der Türkei. Bei den Kommunalwahlen im vergangenen Jahr steigerte er in Istanbul den Stimmenanteil der CHP von 29 % auf 37 %. Der bis dahin regierende AKP Oberbürgermeister Kadir Topbas gewann schliesslich gerade mal mit 500.000 Stimmen mehr (bei 7 Mio Wahlberechtigten). Die Delegierten der CHP hoffen, dass mit dem neuen Parteichef die lange Serie der Wahlniederlagen ein Ende hat. Das vor allem hat wohl die Delegierten in Windeseile die Seiten wechseln lassen. Mindestens 40 % werde die CHP bei den nächsten Wahlen gewinnen, verspricht der Neue. Das klingt nicht utopisch, wenn man weiss: Bei allen Umfragen meint die Mehrheit, es müsse eine neue Partei her am Bosporus, und Kemal Kilicdaroglu hofft, diese Stimmung zu seinen Gunsten nutzen zu können. Wie will er das schaffen?

Seine Antrittsrede gab darüber keinen Aufschluss. Rund 80 % dieser Rede hätte auch der ehemalige Vorsitzende Deniz Baykal halten können: Nein zur geplanten Verfassungsreform, denn damit wolle die AKP nur die Justiz unter ihre Kontrolle bringen, kein Wort zur Macht des Militärs in der Gesellschaft, kein Wort zu Demokratie und Meinungsfreiheit und den tausenden Gerichtsverfahren gegen Journalisten, die „Kurdenfrage“ gibt es nicht, nur ein wirtschaftlich unterentwickeltes Gebiet im Südosten der Türkei. In der Aussenpolitik ist sein Standpunkt zur EU wie der von Deniz Baykal: Grundsätzlich sei die EU schon wichtig, aber die behandle die Türkei so ungerecht, in Sachen Zypernkonflikt beschimpft er nur die Wähler des türkischen Teils der Insel, wenn er sagt, die AKP habe den ehemaligen Präsidenten Talat gestürzt. Zur Aussöhnung mit Armenien verliert er kein Wort. Böse Zungen nannten ihn deshalb nach dieser Rede schon Deniz Kilicdaroglu statt Kemal Kilicdaroglu, nach seinem Vorgänger Deniz Baykal.

„Das Militär ist der Leuchtturm der Demokratie“

Im neuen Parteivorstand sind mehr als die Hälfte der alten Deniz-Baykal-Anhänger verdrängt, aber eben nur gut die Hälfte. Von einem der neuen Parteivorstandsmitglieder, Nuran Yildiz, ist bekannt, dass sie das Militär für „den Leuchtturm der Demokratie“ hält, zahlreiche eher rechte Nationalisten seien ausserdem in den neuen Parteivostand aufgenommen worden, meinen Kritiker innerhalb der CHP. Ein frischer Wind weht dort nicht, eher der schwere Mief vergangener Zeiten. Demokratisch kam die Liste der Kandidaten für den Parteivorstand überdies nicht zustande. Man hat die Abstimmung über ein neues demokratisches Statut der Partei gleich wieder verschoben – obgleich Kemal Kilicdaroglu zuvor nicht müde wurde, neue, demokratische Regeln für die Partei zu versprechen. Und so umarmt der schmählich gestürzte Deniz Baykal von seinem Balkon aus per Handy die „neue CHP“: Die müsse man unterstützen, und viele früchten, das könnte eine Drohung sein.

Manche, die sich eine starke Opposition zur AKP wünschen, geben dem neuen CHP Parteivorsitzenden noch Kredit: Man könne die Partei nicht von heute auf morgen vollständig ändern. Er habe in seiner Rede bewusst alle besonders strittigen Punkte umgangen – und mit der Zusammensetzung des neuen Parteivorstand immerhin die Spaltung der Partei verhindert.

Versprechen, dass einem schwindelig wird

Es wird sich bald zeigen, wohin sich die CHP mit Kemal Kilicdaroglu bewegt. Versprochen hat er schon soviel (Innerparteiliche Demokratie; höhere Renten; im Öffentlichen Dienst soll keiner mehr nur für den Mindestlohn arbeiten; eine Familienversicherung für alle usw), den einen wurde dabei schwindlig - andere sagten: Geändert hat sich der Parteivorstand, aber Kemal Kilicdaroglu hat sich nicht geändert.

Eines seiner wichtigen Versprechen war: Er werde sofort ein Schattenkabinett zur AKP Regierung bilden. Entweder hat der neue Parteichef damit nur ein paar Funktionären neue Pöstchen und Karrieren in Aussicht gestellt, wenn sie zu ihm halten und man die Wahlen gewinnen sollte, oder er will tatsächlich entlang der wichtigen Ressorts der Regierung alternative Konzepte und Vorschläge ausarbeiten. Das wäre wirklich etwas revolutionär Neues. Tayyip Erdogan, der Regierungschef, meinte deshalb lächelnd: So so, der neue CHP Chef will sich um die Sorgen des Volkes kümmern und die Arbeitslosigkeit bekämpfen? Ja dann soll er doch mal sagen wie?