Die Presse berichtet. Ein detaillierter Plan sei bei einem Obersten gefunden worden, wie die Armee die Regierung „fertig machen“ wolle. Die Militärstaatsanwaltschaft hält das Dokument für eine Fälschung bevor sie das Papier in Händen hält. Der militärische Geheimdienst hat nichts gewusst.

 

 Es klingt wie ein Fabel aus Absurdistan: Der Ministerpräsident in Ankara, Tayyip Erdogan, drohte am vergangenen Samstag der eigenen Armeeführung, er werde sie vor Gericht verklagen, wenn es stimme, was er da in der Presse lesen musste. Dort stand am letzten Wochenende, in der Wohnung eines Oberst im Ruhestand (Serdar Öztürk), habe man ein vierseitiges Papier gefunden. Dabei handelte es sich um einen detaillierten Plan, wie man systematisch das Image der Regierung beschädigen, wie die Armee die Regierung „fertig machen“ wolle. Das Pikante dieser Enthüllung: Es handele sich nicht um ein Dokument aus langst vergangenen dunklen Tagen der Republik. Der Plan soll vor zwei Monaten, im April dieses Jahres, geschmiedet worden sein. Unterschrieben habe diesen Plan ein Major der Marine (Dursun Cicek), Mitglied einer Unterabteilung des Generalstabes.

Die Militärstaatsanwaltschaft verfügte sofort ein „Berichtsverbot“ über diesen Fund, ohne Erfolg. Daraufhin erklärte die Militärstaatsanwaltschaft, das Dokument sei eine Fälschung. Man werde es genau untersuchen, wenn die Zeitung, die diesen Putschplan veröffentlicht hatte, das Originaldokument herausrücke. Kurz: Die Militärstaatsanwaltschaft bestreitet die Echtheit des Dokuments, noch bevor sie es in Händen hält. Wenige Stunden später veröffentlicht der Generalstab selbst eine offizielle Mitteilung, die weitaus vorsichtiger formuliert ist: Man werde genau prüfen, ob dieser Plan echt sei oder nicht. Auf jeden Fall würden die Verfasser eines solchen Planes bestraft werden. Das heisst auch, der Generalstab hält die Existenz solch eines Planes für möglich.

Wusste der militärische Geheimdienst nichts von den neuen Putschplänen ?

Vieles spricht dafür, dass die türkischen Generäle, die illegale Aktionen gegen die Regierung des Landes ablehnen, nach wie vor grosse Probleme damit haben, ihre eigenen Reihen von Putschisten zu säubern. Wie sieht es zum Beispiel mit dem militärischen Geheimdienst aus ? Offenbar hat er die Armeeführung über solche Putschpläne nicht unterrichtet. Stattdessen haben nun erneut Angehörige des Militärs, die an solch einer „Säuberung“ interessiert sind, der Presse die brisanten Dokumente zugespielt.

Seit der Veröffentlichung von „Putschtagebüchern“ eines Admirals a.D (Özden Örnek) im vergangenen Jahr ist bekannt: Es gab in den Jahren 2003 und 2004 ernste Pläne von Teilen der Armee, die Regierung der islamisch-konservativen AK Partei unter Tayyip Erdogan zu stürzen. Es soll unter den hohen Generälen und Admirälen eine informelle Abstimmung gegeben haben, ob man die Regierung mit einem Putsch beseitigen solle oder nicht – aber die Mehrheit der Generalität sprach sich offenbar gegen einen Putsch aus.

Der Prozess „Ergenekon“ blieb bisher ohne greifbare Ergebnisse

Nach über einem Jahr Ermittlungen durch die Staatsanwaltschaft und rund einem Dutzend Razzien und Verhaftungswellen im Oktober letzten Jahres wurde ein Prozess gegen 89 Angeklagte, darunter ehemalige Generäle und hohe Offiziere der türkischen Streitkräfte eröffnet. Ihnen wird vorgeworfen, einer Untergrundorganisation mit dem Namen „Ergenekon“ anzugehören, die mit Mordanschlägen und Bombenattentaten ein Klima im Land schaffen wollte, um die gewählte Regierung von Tayyip Erdogan zu kippen. Letzte Woche wurde dieser Prozess – nach 100 Verhandlungstagen – wegen der Gerichtsferien im Sommer für einige Monate unterbrochen. Wer diese Verbrecherbande „Ergenekon“ geleitet hat, wie sie sich finanzierte, liegt auch nach 100 Verhandlungstagen und mehreren tausend Seiten Ermittlungsakten immer noch im Dunkeln.

Zerstoben sind nun mit der Enthüllung des neuen Umsturzplanes alle Hoffnungen, man habe mit den Angeklagten im Prozess „Ergenekon“ schon alle maßgeblichen Putschisten enttarnt und vor Gericht. Noch vergangenen Monat wurde im Garten eines bis dahin anscheinend unbescholtenen hohen Offiziers der Armee ein umfangreiches Waffenlager ausgegraben und selbst die Armeeführung weiss nicht, woher die Waffen stammen. Das sagte sie jedenfalls.

Für die NATO wird die Lage beunruhigend

Auch zu keiner anderen Frage des Falles „Ergenekon“ hat sich der Generalstab bisher geäussert. Er hat aber auch die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft bisher in keinem bekannten Fall behindert und nur lapidar erklärt, wer Gesetze übertrete, der müsse dafür auch bestraft werden. Etliche Beobachter schliessen daraus: Auch die Mehrheit der Armeeführung ist an der Säuberung ihrer eigenen Reihen von Mitgliedern verbrecherischer Untergrundorganisationen interessiert - möglicherweise auch auf Druck der NATO und der USA. Für die NATO wird die Lage beunruhigend. Sie kann nicht hinnehmen, dass die Armeeführung eines Mitgliedslandes, das in alle wichtigen Entscheidungen eingebunden ist, von Attentätern und Putschisten durchsetzt ist. Jost Lagendijk, vom Vorstand der gemeinsamen türkisch-europäischen Parlamentariergruppe hat sich bereits „schockiert“ über die neue Enthüllung gezeigt, Andrew Duff von der Liberal Demokratischen Partei (Ost-England) im EU Parlament will den Vorfall im Juli in Strassburg diskutieren.

Am Dienstag trafen sich der Ministerpräsiden Tayyip Erdogan und der Chef des Generalstabes, Ilker Basbug, zu einem ausserordentlichen Gespräch über die neuen Enthüllungen. Die Militärstaatsanwaltschaft habe die Ermittlungen aufgenommen, wurde erklärt. Der ehemalige Militärrichter Ümit Kardas äusserte inzwischen aber Zweifel, dass eine Untersuchung des Vorfalles durch die Militärstaatsanwaltschaft ausreichend unabhängig und unvoreingenommen sei. Ohne Licht in dieses Dunkel zu bringen, sei auch die Drohung des Ministerpräsidenten mit einer gerichtlichen Klage eher politische Literatur. Wen wolle der denn wo anklagen, fragt Ümit Kardas. Dursun Cicek, der Major der Marine, der den Putschplan unterschrieben haben soll, ist übrigens weiter im Dienst, als sei nichts geschehen.