Es geht um viel in Ankara - aber nicht um das Kopftuch der Ehefrau des künftigen Staatspräsidenten Abdullah Gül. Die Oppositionspartei erklärt ihn zur Gefahr für die weltliche Türkei und verspricht, wenn er gewählt würde, werde man werde ihn boykottieren, wo immer man könne.

 

 

Meist sieht man das Unwetter ja aufziehen – aber trotzdem zucken die meisten beim ersten Donner dann doch zusammen. Heute (Donnerstag) stellt der Wahlsieger und Parteivorsitzende der islamisch-konservativen AKP seine neue Regierung vor – aber schon seit drei Tagen fragen die Kommentatoren und sog. „politischen Beobachter“, ob das Land in eine neue Krise schliddert, nachdem der ehemalige Aussenminister Abdullah Gül nun doch in wenigen Tagen für das Amt des Staatspräsidenten kandidieren wird.

Alle Spekulationen über einen „Kompromisskandidaten“ und Berichte über Fraktionskämpfe innerhalb der AKP, ob man wirklich den Streit in dieser Frage suchen solle, sind Schnee von gestern. Wer den Wahlkampf im Juni und Juli auch nur im Vorübergehen beobachtet hatte, konnte bei fast allen Kundgebungen der AKP Abdullah Gül an der Seite des Parteivorsitzenden Tayyip Erdogan sehen. Die Botschaft war klar: Jetzt erst recht ! - auch wenn Abdullah Gül zunächst am Widerstand der kemalistischen Staatselite, des Militärs und der CHP gescheitert war.

Jetzt erst recht! ist kein Slogan der Verständigung mit dem politischen Gegner. Das Militär hat das wohl zuerst erkannt. Schon vor Tagen erklärte der Generalstabschef den Journalisten, seine Meinung zu einem Kandidaten für das Amt des Staatspräsidenten habe sich nicht geändert. Bekanntlich hatte sich das Militär im April mit einer kaum verhüllten Putschdrohung gegen den Kandidaten Gül ausgesprochen. Ganz entgegen der Tradition war die gesamte Generalität auch der Vereidigungszeremonie der neuen Abgeordneten im Parlament am 4. August ferngeblieben. Ausserdem änderte der Generalstab seine Website. Er entfernte die Äusserung des letzten Generalstabschef, der erklärt hatte, der Generalstabschef sei dem Ministerpräsidenten verantwortlich.

Im Parlament hat sich seit einiger Zeit die Republikanische Volkspartei CHP als Sprecher des Militärs profiliert. Ihr Vorsitzender Deniz Baykal hat inzwischen mit der Legende aufgeräumt, das Kopftuch der Ehefrau von Abdullah Gül sei das Problem bei dessen Kandidatur. Nein, meint er nun, das Problem sei Gül selbst.  

Er lehnte ein Treffen mit Abdullah Gül ab und liess den Parteisprecher in ungewöhnlich scharfen Worten erklären: Werde Gül Staatspräsident, sei die weltliche Republik in Gefahr. Werde er gewählt, werde man ihn boykottieren, wo das nur möglich sei. Man werde zu keinem Empfang gehen und an keiner Sitzung teilnehmen, an der dieser Staatspräsident teilnimmt. Dabei hatte Abdullah Gül bei der Bekanntgabe seiner Kandidatur ausdrücklich betont, er fühle sich vor allem der weltlichen Verfassung des Landes und der Demokratie verpflichtet.

Die Boykottdrohung der CHP ist eine Kriegserklärung, wie sie die Republik Türkei noch nicht kennt. Offensichtlich hat sich die CHP inzwischen selbst von den schlichtesten Regeln der Demokratie verabschiedet. Fungiert sie dabei auch als Sprachrohr der Generalität, ist das nichts weniger als eine Sturmwarnung.

Beunruhigt ist die kemalistische Staatselite wohl vor allem, weil der Staatspräsident u.a. gerade auch für das Militär eine besondere Rolle spielt. Wenn immer wieder davon die Rede ist, er sei auch der Oberste Befehlshaber der Streitkräfte, so ist konkret wohl folgendes gemeint: Um einen General oder den Generalstabschef zu entlassen braucht es drei Unterschriften in Ankara: Die des Verteidigungsministers, die des Ministerpräsidenten - und die des Staatspräsidenten. Sind alle drei Positionen in der Hand der AKP, dann hat die Partei auch rein rechtlich den Generalstab „in der Hand“.

Schon unter weiland Turgut Özal, dem Ministerpräsidenten und Staatspräsidenten, der auch die Armee am straffen Zügel führte, waren alle drei Unterschriftsberechtigten in einer, in seiner Hand. Als im Zuge der Vorbereitung des Golfkrieges 1991 sich der türkische Generalstab gegen eine Beteiligung der Armee an diesem Golfkrieg aussprach, entliess dieser einfach den Generalstabschef – und Ankara war ohne Wenn und Aber mit von der Partie beim Aufmarsch gegen Saddam.

Kein Wunder also, dass die CHP schon während des Wahlkampfes nach einem „Kompromisskandidaten“ gerufen hatte. Der aber – und das war die Bedingung - sollte in keiner der im Parlament vertretenen Parteien sein, kurz: Auf keinen Fall in der AKP. Zweifellos: Tayyip Erdogan hat mit der neuerlichen Nominierung Abdullah Güls den Fehdehandschuh der Kemalisten aufgenommen, denn er wusste: Nur einen. der nicht aus der AKP kommt, werden seine Gegner als „Kompromisskandidaten“ akzeptieren. Das aber wäre nach dem beeindruckenden Wahlsieg in der Partei und bei den Anhängern der AKP wohl kaum vermittelbar gewesen.

Keine Verständigung also – sondern Streit. Die zweite Legislaturperiode wird für die AKP noch schwerer als die erste. Wenn auch das Militär nun nicht mit Panzern die Strassenkreuzungen in Ankara blockieren wird: Es herrscht ab jetzt Konfrontation und ständiges Kräftemessen in den wichtigsten Gremien des Staates – bis hin zum Nationalen Sicherheitsrat. Und die neue Regierung weiss: Die traditionellen Kemalisten, die „weissen Türken“, haben genügend Mittel in der Hand, um ihnen das Leben richtig schwer zu machen. Das Thema „Nordirak“ ist davon nur eines.