Der grauenhafte Mord der IS an dem jordanischen Piloten – welche Schlussfolgerungen zieht die Türkei? Wie steht es mit dem Thema Islam und Gewalt, wie mit dem Kampf gegen den IS ?

 

Es ist erstaunlich ruhig in Ankara. Eigentlich hat der türkische Staatspräsident Tayyip Erdogan ja zu allem eine dezidierte Meinung. Er weiss, dass nicht Kolumbus Amerika entdeckt hat, er weiß, wie man Ehebruch bewerten sollte, was ist Kunst, wie viele Bäume in einen Park gehören und wie viele Kinder eine Frau gebären sollte. Zu dem bestialischen Mord der IS an dem jordanischen Piloten aber gibt es von ihm nichts.


Selbst in der halbamtlichen Zeitung Yeni Safak, der sonst kein Räuspern von Tayyip Erdogan entgeht, steht gerade einmal eine Meldung mit sieben Zeilen. Auf sechseinhalb Zeilen wird berichtet, der türkische Staatspräsident habe in einem Telefongespräch dem jordanischen König und dem jordanischen Volk sein tiefstes Mitgefühl ausgesprochen. Dann folgen die letzten Worte: Staatspräsident Erdogan hat den Vorfall scharf kritisiert.


Auch die übrige politische Klasse am Bosporus ist dazu auffallend einsilbig. Die türkischen Blätter berichten zurückhaltend. Kaum etwas zum Ruf nach Rache im jordanischen Königshaus. Keiner berichtet über den Spruch des islamischen Gelehrten Ahmet Al-Tayib aus Kairo, der in der sunnitischen Welt hohes Ansehen genießt. Er meint: Der Islam verbiete die Ermordung Unschuldiger. Deshalb hätten die Mörder des jordanischen Piloten den Tod am Kreuz oder die Verstümmelung verdient.


Das Schweigen hat seinen Grund. Islam und Gewalt ist ein heikles Thema in der Türkei. Zwar hat die Republik Türkei schon 1954 die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte ratifizierte und 2004 die Todesstrafe in Kriegs- und Friedenszeiten abgeschafft. Doch eine Umfrage des Forschungsinstitutes MetroPoll vom Januar dieses Jahres zeichnet ein zwiespältiges Bild. Danach erklärten gerade mal 56 % der Befragten, es sei falsch gewesen, die Karikaturisten von Charlie Hebdo zu ermorden. 19,6 % meinten, sie hätten den Tod verdient, von den Anhängern der Regierungspartei AKP waren sogar 26,4 % dieser Meinung.


Heißen Sie unter bestimmten Bedingungen die Anwendung von Gewalt im Namen des Islam für richtig? Ja sagten dazu 20,1 %, von den Anhängern der Regierungspartei AKP waren es sogar 33,8%. Vor gerade mal vier Monaten, im September 2014, hatte MetroPoll die gleiche Frage gestellt. Damals befürworteten nur 12,6 % Gewalt im Namen des Islam. Wer den Islam beleidigt, der muss bestraft werden, das meint heute fast die Hälfte der Befragten, 43,6 %. (AKP-Anhänger: 60,9%).


Und was heisst: Im Namen des Islam? Was ist der „richtige Islam", der „wahre Islam" ? Das lässt sich in einer Umfrage natürlich nicht ermitteln. Erfragen lässt sich aber, ob es darüber einen Konsens in der Gesellschaft gibt. Es gibt ihn nicht, sondern es herrscht große Unsicherheit und Skepsis. Über 50 % glauben nicht einmal, dass die Imame den wahren Islam predigen und leben.


Diese Kritik trifft auch das Direktorat für Religionsfragen (Diyanet) in Ankara, eine staatliche Zentralstelle für Glaubensfragen des Islam, eine Einrichtung, die es sonst nirgends in der islamischen Welt gibt. Der Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk hatte sie nach der Gründung der laizistischen Republik Türkei gegründet, um die Imame und religiösen Vereine im Land zu kontrollieren. Der Chef dieser Zentralstelle für Glaubensfragen des Islam, Mehmet Görmez, muss heute erfahren, dass viele Gläubige seinen Ansichten nicht folgen. Er hatte schon am 8. Januar, unmittelbar nach den Morden von Paris jede Anwendung von Gewalt im Namen des Islam öffentlich verurteilt.


Immerhin hat er nun vor wenigen Tagen erklärt: Die islamische Welt müsse erst einmal ihr eigenes Haus in Ordnung bringen, bevor sie gegen die Islamfeindlichkeit in anderen Ländern antreten kann. „Die islamische Welt die nicht das Feuer im eigenen Haus löscht und keine Welt des Glaubens, des Friedens und der Freiheit ist, kann nicht gegen die Islamfeindlichkeit anderswo kämpfen". Unterstützung dafür ist von den sonst Wortgewaltigen in Ankara aber nicht zu hören.

 

Manche türkische Kommentatoren hatten gehofft, der grauenhafte Mord an dem jordanischen Piloten motiviere die türkische Regierung wenigstens zu einem größeren Engagement im Kampf gegen den IS. Immerhin zitierte die Tageszeitung Hürriyet im Januar eine „Quelle aus Polizeikreisen", wonach der IS rund 3.000 Kontakte in der Türkei habe. Das Forschungs-Institut „Die Türkei im 21.Jahrhundert" sprach zur gleichen Zeit sogar von 12.000 türkischen Staatsbürgern, die im syrischen Bürgerkrieg kämpfen, die meisten auf Seiten des IS und der Al Kaida nahen Al Nusra.. Außerdem wollen die Vereinigten Arabischen Emirate Luftschläge mit ihren Kampfjets gegen den IS aussetzen, solange die USA keine Rettungseinheit für abgeschossene Piloten in der Nähe des Einsatzgebietes aufstellen, berichtet das Wall-Street Journal. Bislang kommen die amerikanischen Rettungsflieger aus Kuweit. Ankara verbietet den US Streitkräften nach wie vor die Benutzung des Luftwaffenstützpunktes Incirlik nahe der syrischen Grenze im Kampf gegen den IS. 

 

Es sieht nicht so aus, als ob Ankara dazu seine Haltung rasch ändert. Stattdessen düpiert die türkische Regierung ihre Verbündeten und sagt die Reise des Aussenministers Mevlüt Cavusoglu zur Münchner Sicherheitskonferenz ab, weil dort auch ein Vertreter Israels auftrete. Dabei ist der Kampf gegen den IS ein zentrales Thema in München.

 

Selbst wenn Absage aus Ankara „nur" ein Pirouette im beginnenden Wahlkampf am Bosporus sein sollte (im Juni wird das türkische Parlament neu gewählt), es zeigt, wie leicht türkische Politiker nach wie vor bereit sind, für vermeintlich kurzfristige innenpolitische Vorteile strategische Ziele hintan zu stellen. Denn auch das hatte eine Umfrage des PEW Research Centers 2013 ergeben: Weltweit am wenigsten mögen die Türken den Staat Israel, 86 % der Befragten waren Israel gegenüber nicht wohlgesonnen – am meisten von allen Staaten sympathisierten die Türken damals noch mit Saudi-Arabien.