Das Selbstmordattentat von Istanbul hat auch gezeigt: Die Sicherheitsbehörden am Bosporus sind in keinem guten Zustand. Warum ? Ein Berichtsverbot darüber wird dabei jedenfalls nicht helfen.

 

Murat ist empört. Man hat nicht den Eindruck, als sei was Besonderes passiert – schimpft er. Nicht einmal die das Fernsehprogramm ist anders. Die Nachrichten über das Attentat von Istanbul werden immer wieder unterbrochen von Werbung für Fruchtbonbons, Nasenspray und billige Möbel. Dann folgt eine Fernsehserie über düstere Liebesaffären und eine Shows zur Partnervermittlung.

Doch das war auch vergangenen Oktober so, als Selbstmordattentäter in Ankara über 100 Menschen ermordeten und Hunderte schwer verletzten. Neu ist auch nicht, dass die Regierung sofort nach dem Attentat ein Berichtsverbot über das Ereignis verhängt. Es ist keine Nachrichtensperre, wie das ab und an verniedlichend übersetzt wird. Eine Nachrichtensperre kann jedes Ministerium mit den schlichten Worten „kein Kommentar!“ durchsetzen. Es ist ein Verbot, über dieses Ereignis zu berichten.

In den vergangenen 10 Jahren wurden mehr als 150 solcher Berichtsverbote verhängt. Die Presse sollte zum Beispiel über die Ermittlungen zu den Korruptionsvorwürfe gegen Minister der Erdogan-Regierung schweigen oder über das Grubenunglück in Soma im Mai 2014, bei dem mehr als 300 Bergleute ums Leben kamen. Das letzte Berichtsverbot wurde Ende Oktober letzten Jahres verhängt. In der südostanatolischen Stadt Sanliurfa hatten zwei Mitglieder des IS eine Handgranate auf eine Polizeistation geworfen. Der 1. Strafgerichtshof verfügte zum 31.10.2015 unter der Nummer 2105/556 D, bis zum Abschluss der Ermittlungen dürfe „über dieses Thema weder schriftlich, noch mit Bildern oder im Internet in den sozialen Medien etwas veröffentlich werden“. Kaum einer der Vorfälle, über die nicht berichtet werden sollte, wurde je wirklich aufgeklärt.

Natürlich halten sich an solch ein Berichtsverbot nur wenige. Darum geht es wohl auch nicht. Es erlaubt der Regierung aber, gegen jeden Journalisten vorzugehen, der ein Thema aufgreift, das man nicht in der Öffentlichkeit nicht erörtert haben möchte. So wird heute auf allen Kanälen über den Besuch des deutschen Innenminister De Maiziere in Istanbul berichtet. Selbstverständlich darf wiedergegeben werden, was der türkische Innenminister zu den Ermittlungsergebnissen in die Pressemikrofone sagt. Man erfährt von landesweiten Razzien gegen den IS und 59 Festnahmen und dass einige mutmaßliche IS Mitglieder „russische Pässe“ bei sich gehabt hätten.

Worüber keiner spricht: Die türkischen Sicherheitsbehörden sind in keinem guten Zustand. Seit mehr als zwei Jahren kehrt ein Machtkampf im türkischen Staatsapparat vor allem bei der Polizei alles von unten nach oben. Ein ehemaliger Verbündeter des heutigen Staatspräsidenten Tayyip Erdogan, der Prediger Fethullah Gülen, der in Amerika lebt, soll viele Anhänger gerade auch bei der Polizei und in der Armee haben. Inzwischen gilt Gülen als Staatsfeind Nummer 1. Vergangenen Mittwoch wurde gegen ihn in Abwesenheit der Prozess eröffnet. Er ist angeklagt, eine terroristische Vereinigung gegründet zu haben. Geplant habe er einen Marsch durch die türkischen Institutionen, um die Macht im Staat zu übernehmen. Neben ihm sind 70 weitere Verdächtige angeklagt, vor allem ehemalige Polizisten, darunter auch zwei frühere Polizeichefs.

Bereits im April letzten Jahres wurden 776 Polizeioffiziere in den vorzeitigen Ruhestand versetzt, weil sie verdächtigt wurden Anhänger des Predigers Gülen, ‚Gülenci’, zu sein. Zwei Monate später, im Juni, traf es noch einmal 118 Polizeioffiziere, und im August letzten Jahres wurden erneut 300 Führungskräfte bei der Polizei entlassen. Erst vor wenigen Tagen, am 30. Dezember letzten Jahres, wurde der Polizeichef der Stadt Adana, am Mittelmeer, verhaftet, weil er ‚Gülenci’ sein soll. Abgesetzt wurden nach Presseberichten auch der Leiter der Antiterroreinheit in Istanbul, der ehemalige Chef der Sicherheitspolizei und der Leider der Geheimdienst – und Aufklärungsabteilung der Istanbuler Polizei. Der Anwalt einiger dieser Polizeioffiziere, Ömer Turanli, wurde mit den Worten zitiert: „Diese Polizeibeamten waren der Albtraum all jener, die in Terrorismus, Korruption, Bestechung, Schmuggel und andere Verbrechen gegen die öffentliche Sicherheit involviert waren“. Gegen 5.000 Polizeibeamte sollen Ermittlungsverfahren laufen.

Es fehlt den Sicherheitsbehörden nicht an Bewerbern, es mangelt nicht an einfachen Polizeibeamten, die mit umgehängter Maschinenpistole auf öffentlichen Plätzen patroullieren. Auch auf dem Platz in Sultanahmet in Istanbul, auf dem das Attentat geschah, sind immer Polizeieinheiten mit Waffen und Fahrzeugen postiert. Es fehlt auch nicht an Warnungen vor Anschlägen: Zum letzten Mal Mitte Dezember hatte die CIA die Regierung in Ankara von Anschlägen am Bosporus gewarnt. Kurz zuvor hatte der türkische Geheimdienst MIT erklärt, man wisse von 20 Selbstmordattentäter des IS im Lande, so die regierungsnahen Zeitung ‚Yeni Safak’.

Es fehlt aber offenbar an Aufklärung und Führung der Sicherheitskräfte vor Ort. Als sich vor wenigen Tagen Angehörige der Opfer des letzten großen Selbstmordattentats in Ankara bei der Staatsanwaltschaft nach dem Stand der Ermittlungen erkundigten, hörten sie Schlimmes. Der stellvertretende Staatsanwalt Necip Cem Iscimen soll gesagt haben: Wenn die Polizei den Bombenanschlag von Suruc ( im Juli 2015 mit 34 Toten ) ordentlich ermittelt hätte, wäre das Attentat von Ankara mit mehr als 100 Toten wohl verhindert worden. Die Attentäter von Suruc, das wisse man heute, seien auch an dem Attentat von Ankara beteiligt gewesen. Das berichtete Resul Baykara, dessen Bruder in Ankara zu Tode kam, der türkischen Zeitung Zaman.

Erst gestern (12.Januar) schwere Ermittlungsfehler der Polizei bei einem Terroranschlag am 28. Dezember 2015 in der südostanatolischen Stadt Diyarbakir bekannt. Damals war ein bekannter Anwalt am helllichten Tag auf offener Straße erschossen worden – und die ermittelnden Beamten vergaßen offensichtlich sogar, alle Patronenhülsen aus der Tatwaffe von der Straße aufzusammeln.

In rund 2 Jahren hat der IS in der Türkei 5 schwere Attentate verübt – keines wurde bislang vollständig aufgeklärt. Offenbar stimmt immer noch, was schon vor einigen Monaten ein Wistleblower im türkischen Staatsapparat per Twitter verbreitete. Danach soll der Chef des türkischen Geheimdienstes, Hakan Fidan, erklärt haben, man habe die Spur der IS Zellen im Land verloren.

Die Schwäche der türkischen Sicherheitsbehörden könnte das Land in instabile Lage bringen. Schon das vergangene Jahr lief für den Tourismussektor so schlecht, dass die Regierung im Sommer die Schulferien um zwei Wochen verlängerte, um den Hotelbesitzern, Souvenierverkäufern und Gastwirten zu helfen. Brechen nun die Einnahmen aus dem Tourismusgeschäft noch einmal ein, könnte das die Türkei vor allem wirtschaftlich empfindlich treffen. Mit einem Berichtsverbot wird das nicht zu verhindern sein.