Was ist da in Ankara passiert? Der Regierungschef ist gestürzt – der ‚Westen’ wartet ab, und in der Türkei legen mehr und mehr die Stirn in Sorgenfalten.

 

Die mediale Aufmerksamkeit plätschert eher feiertäglich. Dabei hat die Türkei gerade ihren Regierungschef verloren, Ahmet Davutoglu, den die meisten in Deutschland kennen und viele den „kleinen Mann, der immer so freundlich lächelte“, nennen. Als vor einer Woche ein gänzlich Unbekannter im türkischen Parlament, dessen Namen kaum ein Moderator richtig aussprechen konnte, als dieser Ismail Kahraman laut darüber nachdachte, ob das Land nicht besser eine islamische Verfassung haben sollte, da rauschte es gewaltig bis in die mitternächtlichen Talkshows. Jetzt lässt die US-Regierung nur knapp erklären: Das habe keinen Einfluss auf den Kampf gegen den IS – und auch die EU Kommission hält den Ball flach: Man warte ab.


Dabei ist am Bosporus mehr geschehen als der Sturz eines Regierungschefs, der dem türkischen Staatspräsidenten Erdogan nicht genügend gefügig erschien. Es ist wohl der Anfang vom Ende einer Epoche politischer Stabilität in der Türkei.


Gründe für das Zerwürfnis zwischen Erdogan und Davutoglu gibt es wohl viele. Aus Hinterzimmern wurden Papiere ins Internet gereicht, die Streitpunkte zwischen den beiden auflisten. Man nannte das läppischerweise das „Pelikan-Dossier“ nach einem Hollywood-Film. Offen debattiert wurde über die Differenzen nie. Zum Krach kam es dann über der Frage: Bestimmt der gesamte Parteivorstand oder der Vorsitzende allein, wer in den Bezirken und Regionen die AKP führt. Die Mitglieder der Bezirke haben nämlich nicht das Recht, ihren Vorsitzenden zu wählen, Ankara serviert den Mitgliedern dort einen Chef, der also auch von der Parteizentrale abhängig ist. Es ging also nicht um einen Streit zwischen Gut und Böse, sondern nur darum, wer bei diesem undemokratischen Vorgang das Sagen hat.


Nicht wenige in der AKP fürchten aber nun, es könnte das offene Hauen und Stechen in den eigenen Reihen beginnen. Bislang war es Tayyip Erdogan gelungen, fast geräuschlos Minister zu entlassen, oder Parteifunktionäre an den Rand der Partei zu drängen oder auszuschließen, die er nicht für genügend ergeben hielt. Jetzt muss es dazu einen außerordentlichen Parteikongreß geben. Der trägt unweigerlich Unruhe in die ohnehin aufgewühlte Partei.


Ahmet Davutoglu hat dazu eine scharfsinnige Vorlage geliefert. Er hat in seiner Rücktrittserklärung 20 Minuten ausgeführt, wieso es keinen einzigen Grund für seinen Rücktritt gibt. Er bilanziert seine Arbeit in den höchsten Tönen, ‚ich habe nichts zurückzunehmen oder zu bedauern’ und stellt dann selbst die Frage: ‚Ja wieso trete ich dann eigentlich zurück? Weil ich nicht um die Macht schachere, das habe ich noch nie getan’. Damit ist ein wuchtiger Vorwurf elegant an die Gegenseite weitergereicht. Mit seiner tiefen Verbeugung vor Tayyip Erdogan (‚wir sind eine Familie’) bekräftigt er nur: Er ist nicht der Unruhestifter.


Danach fliegt er in seine Heimatstadt Konya – und wird am Flughafen von einer großen Menge Anhängern erwartet, die sich in große weiße Tücher gehüllt haben, auf denen sein Bild abgedruckt ist und sie skandieren: Die Türkei ist stolz auf dich! In der AKP Parteipresse warnt ein Chefredakteur, man dürfe den Aufwieglern jetzt keine Chance geben. Das nütze nur der PKK und dem IS. Andere rufen dazu auf: Jetzt müsse man die Gelegenheit beim Schopfe packen und die Partei ‚säubern!’, sie von den Schmarotzern befreien. Die AKP habe bei den Wahlen im vergangenen Juni ja deshalb Stimmen verloren, weil etliche in der Partei nur auf den eigenen Vorteil aus seien. Andere warnen: Keine Panik! Ruhig Blut! Der Teufel mache in diesen Tagen Überstunden. Etliche würden jetzt versuchen, die eine oder andere Fraktion in der Partei aufzuhetzen.


Wieder andere mahnen: Jetzt müsse sofort eine neue Verfassung her, die dem Präsidenten endlich mehr Rechte einräumt.


Tatsächlich steckt das Land seit langem in einer Systemkrise, eigentlich seit 2007. Um im Machtkampf mit den Militärs nicht zu unterliegen, setzte die Regierung Erdogan damals die Wahl des Staatspräsidenten durch das Volk durch. Die Generäle hatten sich bekanntlich mit Händen und Füßen gegen den Kandidaten der AKP, Abdullah Gül, gewehrt. Seither wird der Staatspräsident vom Volk gewählt, nicht mehr von den Abgeordneten des Parlamentes. Das Amt wurde so beachtlich aufgewertet, laut Gesetz aber blieb seine Stellung genauso unbedeutend wie zuvor: Er hat nach der Verfassung kaum mehr Macht als ein Notars der Regierung.


Wer immer der Nachfolger von Ahmet Davutoglu wird - dieses Problem ist damit nicht gelöst. Auch einer der Vorgänger von Tayyip Erdogan, Präsident Turgut Özal, war Alleinherrscher am Bosporus. Er hatte zu jener Zeit einen ihm sehr ergebenen Regierungschef mit Namen Yildirim Akbulut eingesetzt. Seither ist dieser Name in der Türkei sogar das Synonym für einen etwas einfältigen aber willfährigen Gehilfen. Trotzdem gelang es auch Turgut Özal kaum, die Partei und die Regierung von außen zu führen. Die Regierung verlor von Wahl zu Wahl mehr stimmen.


Der Rücktritt Ahmet Davutoglu’s markiert keinen „Regime-change“ am Bosporus. Faktisch hatte Tayyip Erdogan das Präsidialsystem bereits vor dem Rauswurf Ahmet Davutoglus durchgesetzt. Schon vor Wochen hielten ihn 80 % der türkischen Staatsbürger bei einer Umfrage für den Regierungschef. Gut 60 % aber wollen keine Verfassung, die auch per Gesetz Tayyip Erdogan zum Regierungschef macht. Für Erdogan eine Zwickmühle, aus der er sich auch jetzt nicht leicht herauswinden kann.


Der Rücktritt Ahmet Davutoglu’s könnte zu einer größeren Unruhe innerhalb der AKP führen. Davutoglu hat in den Jahren seiner Parteiarbeit – und vor allem in den letzten Monaten als Ministerpräsident - mehr und mehr Anhänger in der Partei gewonnen. Sein Rausschmiss ist auch ein Zeichen der Furcht der Erdogan-Fraktion vor einem Davutoglu-Flügel. ( siehe auch Artikel (Innenpolitik): Der empfindliche Grobian ) Außerdem entblättert sich die AKP mit jedem Skandal und jedem innerparteilichen Streit in der türkischen Öffentlichkeit ein bisschen mehr als eine x-beliebige Partei am Bosporus, wie es schon viele gab.


Das Land hat nicht nur wirtschaftliche Problem, den Krieg gegen die PKK, gegen den IS und die Flüchtlingskrise zu bewältigen – es ist tief gespalten in religiöse und weltliche Gruppen, in Türken und Kurden. Jetzt treibt das Land aufgrund von Turbulenzen in der Regierungspartei AKP auf noch unruhigere Zeiten zu. Eine zunehmend instabile Türkei - für die EU und die USA ist das allemal ein Grund zur Sorge.