Dieter Sauter - „Die Krise kommt – Tayyip Erdogan geht“ ?

Details: Erstellt: 08. Januar 2017

Die Wirtschaftsdaten am Bosporus sind schlecht. Viele Gegner von Tayyip Erdogan hoffen, der werde deshalb an Zustimmung verlieren und kein allmächtiger Präsident werden. Stimmt das?

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Die Wirtschaft ist in einem erbärmlichen Zustand. Das notiert der langjährige Berater Tayyip Erdogans, Etyen Mahcupyan. Inzwischen ist er allerdings wie viele andere ein scharfer Kritiker des türkischen Staatspräsidenten. Als die Energiepreise so niedrig waren wie nie, wurde der Staat ausgebaut, statt die Unternehmen zu unterstützen, wettbewerbsfähiger zu werden. Grundlegende Reformen seien nötig. Die Schattenwirtschaft müsse bekämpft werden und den Investoren müsse man Rechtssicherheit garantieren. Aber es geschehe genau das Gegenteil.

Gerade noch hatte der stellvertretende Regierungschef Nurettin Canikli versprochen, jetzt, bei 3,5 TL für einen Dollar, sei der Verfall der türkischen Währung gestoppt. Die Zentralbank kaufte Gold, und Tayyip Erdogan rief alle auf, ihre Dollar-Konten aufzulösen. Im Fernsehen konnte man gar einen „treuen Bürger“ sehen, der bei einer Verlosung ein Auto gewonnen hatte, weil er seine Ersparnisse von Dollar in türkische Lira umtauschte. Er gewann allerdings nur einen alten VW Käfer. Der war wohl für ein paar Türkische Lira gekauft – und geholfen hat all das nichts. Am Wochenende war der Dollar schon knapp 3,7 TL wert.

Im dritten Quartal 2016 brach die türkische Wirtschaft erstmals seit Jahren um fast 2% ein. Die Zahl der Firmenpleiten nimmt zu. Allein im August letzten Jahren verloren etwa 250.000 ihre Arbeit, die meisten im Tourismus-Sektor. Die Saison in Antalya war 2016 schlechter noch als 2004. Der türkische Bankenverein zählt inzwischen 1,22 Mio Kunden, die wegen ihrer Kreditkartenschulden vor Gericht stehen.

2017 werde die Wirtschaft der Türkei wahrscheinlich in eine schwere Krise geraten, meint der türkische Wirtschaftsprofessor Dr. Korkut Boratav. Doch es sei falsch, einfach darauf zu setzen, dass solch eine Krise Tayyip Erdogan die Macht kosten werde.

Natürlich weiß der türkische Staatspräsident, dass sinkender Wohlstand und steigende Arbeitslosigkeit rasch auch zur politischen Niederlage für Regierende führen können.
Noch gibt es keine verlässliche Umfrage, die Tayyip Erdogan bei einem Referendum über sein entscheidendes politisches Projekt, die Präsidialverfassung, eine sichere Zustimmung voraussagt. Nicht umsonst will er darüber bereits im April abstimmen lassen. Bis dahin sind es nur noch drei Monate. Auch wenn die Frühjahrssaison (Osterferien) im Tourismus erneut miserabel läuft, die Auswirkungen werden erst danach für alle durchschlagen.

Zunächst wurde in der Öffentlichkeitsarbeit nachgelegt. Ende des Jahres änderte das Türkische Amt für Statistik plötzlich seine Berechnungsweise – und über Nacht war das Durchschnittseinkommen am Bosporus von 9.130 Dollar auf 11.014 Dollar gestiegen. Umfragen zeigen außerdem, dass vor allem AKP Wähler für die häufig wiederholte Komplott-Theorie Tayyip Erdogans empfänglich sich. Danach ist die „Zinslobby aus dem Ausland“ schuld an den wirtschaftlichen Problemen des Landes. Die wolle eine starke Regionalmacht Türkei verhindern. Dagegen müsse man zusammenstehen.

Doch dabei bleibt es nicht. Die AKP Regierung bedient ihre Klientel durchaus handfest. Bereits Ende Dezember wurde zunächst der Mindestlohn für gut 8 Millionen Beschäftigte von 1.300 auf 1.404 TL angehoben. Anfang Janur versprach Regierungschef Binali Yildirim 11,5 Millionen Rentnern dann eine Sonderzahlung. Zwei Tage später wurden Handwerkern zinslose Kredite für drei Jahre zugesagt. Wieder einen Tag später gelobt der Energieminister und Schwiegersohn des Staatspräsidenten, Berat Albayrak, die Strom- und Gaspreise würden 2017 nicht erhöht.

Solche Ausgaben ließen sich zumindest für kürzere Zeit durch Schwarzgeld aus dem Ausland finanzieren, so Professor Boratav. Es stimme zwar, dass ausländische Investoren mehr und mehr Devisen aus der Türkei abziehen. Das sei für die Wirtschaft am Bosporus besonders schwierig, da das Land seit langem mehr importiert, z.B. Öl und Gas, als es an Waren exportiert. Die Türkei brauche deshalb ständig neu Devisen, um diese Lücke, das sog Leistungsbilanzdefizit, zu finanzieren. Es stimme aber auch, dass viel Schwarzgeld vor allem aus Saudi-Arabien und Katar ins Land komme. So konnte z.B. zwischen Januar und September 2015 mit diesem Schwarzgeld rund die Hälfte des Leistungsbilanzdefizits finanziert werden. Kurzfristig sei ein dramatisches Einbrechen der türkischen Wirtschaft nicht zu erwarten.

Schließlich, so Korkut Boratav, gebe es außerdem so etwas wie den „Trump-Effekt“: Wenn weite Teile der Bevölkerung eines Landes mit wirtschaftlichen Problemen kämpfen oder Angst vor dem Abstieg haben und gleichzeitig politisch keine Alternative sehen , dann könne der Wunsch nach dem „starken Mann“ umso größer werden.

In diesem Punkt trifft sich der Wirtschaftsfachmann mit dem ehemaligen Politikberater Erdogans, Etyen Mahcupyan. Wird es bald einen allmächtigen Präsidenten Tayyip Erdogan geben? Ob bei einem Referendum darüber genügend Ja-Stimmen zusammenkommen hänge vor allem davon ab, ob es Tayyip Erdogan gelingt, bis April alle AKP Wähler von einst zu mobilisieren. Das werde nicht leicht. Gelingen könne ihm das durch Zugeständnisse an seine Klientel, oder auch, indem er die Spannungen im Land weiter anheize. Damit hatte er schließlich schon bei den Wahlen im November 2015 Erfolg.