Dieter Sauter
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Führer befiehl ! ...

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Erstellt: 31. Oktober 2017

Der AKP Chef Tayyip Erdogan spricht von „Materialermüdung“ in den eigenen Reihen. Er droht mit „Säuberungen“ und verschiebt die Parteikongresse für 30 Großstädte. Gibt es Probleme in der Regierungspartei?

„Führer befiel!“ - diese Überschrift ist kein unnötiger Vergleich des Regimes in Ankara mit dem des Adolf Hitler. Zwar geht dem türkischen Politiker das Wort „Faschist!“ gemeinhin locker über die Lippen. ‚Führer befiehl!’ ist aber ein Zitat der letzten Tage. Es ist das Wort des Oberbürgermeisters der türkischen Hauptstadt Ankara, Melih Gökcek. Gökcek geht jetzt schon die Geschichte der Republik Türkei ein: 1994 wurde er zum ersten Mal OB von Ankara – und insgesamt vier Mal wiedergewählt (1999, 2004, 2009, 2014). Das hatte vor ihm noch keiner geschafft.


Wieso war er umstritten?


Von allen geliebt war Gökcek trotzdem nicht. Er hatte Twitter lange vor Donald Trump als Kommunikationsmöglichkeit genutzt – und darüber viel Merkwürdiges verbreitet. So Während der Gezi Proteste in Istanbul 2014 erstaunte er mit der Nachricht, die Demonstranten hätten im Istanbuler Gezi Park einen Plan zum Bau einer Atombombe versteckt. Gegen Abtreibung polemisierte er mit dem Satz, die Mutter solle sich lieber selber umbringen und nicht das ungeborene Kind. Nach dem Putschversuch vergangenen Jahres behauptete er gar, der Prediger Fethullah Gülen habe die Putschisten mithilfe außerirdischer Wesen gelenkt.
Umstritten war er aber vor allem, weil immer wieder der Verdacht aufkam, Melih Gökcek nutze das Amt zum persönlichen Vorteil. Schon 2008 berichteten türkische Medien von heftigem Streit innerhalb der AKP unter der Überschrift ‚Gökcek muss weg!’. Im Wahljahr 2009 kam es sogar zu sechs Vorermittlungen der Staatsanwaltschaft gegen ihn wegen Bestechlichkeit und Untreue im Amt. Trotzdem, Tayyip Erdogan hielt an ihm fest. Gökcek gewann die Wahl 2009 in Ankara und wurde im Dezember desselben Jahres vom Vorwurf der Untreue im Amt freigesprochen. Lieblingsfeinde von Melih Gökcek verbreiteten trotzdem, auch zwischen Tayyip Erdogan und Gökcek herrsche innige Abneigung. Bislang aber sei der OB von Ankara unantastbar. Der habe ein gutes Archiv und wisse einfach von zu vielen Leichen im Keller der AKP.


Doch nun ist plötzlich alles anders


Doch nun ist plötzlich alles anders. Staatspräsident Tayyip Erdogan fordert den Oberbürgermeister der Hauptstadt zum Rücktritt auf – und der nimmt seinen Hut mit den Worten: „Ich trete nicht zurück, weil ich nicht erfolgreich war oder weil ich amtsmüde bin. Ich trete zurück, weil Tayyip Erdogan mich dazu auffordert. Ich erfülle die Anordnungen Erdogans. Er wird das Land zu einem Land eines Führers umbauen. Ich glaube daran, dass es zum Guten führt, seinen Befehlen zu gehorchen, was immer er will.“ (28.10)


Was ist anders? Staatspräsident Tayyip Erdogan hat mit dem Hebel des Ausnahmezustandes die Republik Türkei inzwischen soweit umgebaut, dass er auch mit Hilfe umstrittener Vorschriften und gegen die Stimmen von Millionen Wählern Politik und Politiker in großen Städten und entfernten Dörfer des Landes bestimmt.
Er winkt – und auch die Bürgermeister von Istanbul, von Bursa, und drei anderen Großstädten treten zurück. Nur der Bürgermeister von Balikesir im Westen der Türkei sträubte sich hartnäckig. Die Tageszeitung Hürriyet berichtete daraufhin von einer Sitzung des Parteivorstandes der AKP. Auf der soll Tayyip Erdogan gedroht haben: „Wir erwarten, dass der Bürgermeister von Balikesir am Montag (28.10) zurücktritt – ansonsten werden wir das tun, was nötig ist.“


Wir tun was nötig ist


Niemand habe einen Bürgermeister zum Rücktritt gedrängt, behauptete der Parteisprecher der AKP (Mahir Ünal) noch am Anfang Oktober mit allem Nachdruck. Solche Gerüchte seien unwahr. Drei Wochen später rief er selbst den störrischen Bürgermeister von Balikesir auf, seinen Hut zu nehmen – und ergänzte: Wer meine, das sei undemokratisch, der betreibe nur ‚dunkle Propaganda’.


Dann wurde es Montag der 28. Oktober 2017 – und der Bürgermeister von Balikesir trat zurück. Er blieb der einzige, der zum Abschied von Druck und Bedrohung sprach. Der (ehemalige) Bürgermeister von Istanbul klagte nur leise, er könne es nicht akzeptieren, dass man ihn nicht „wie einen Mann“ behandelt habe. Keiner weiß, was er damit sagen wollte, aber jeder weiß, dass sein Schwiegersohn inzwischen wegen möglicher Mitgliedschaft in der „Terrororganisation des Predigers Gülen (FETÖ)“ festgenommen worden war und auf seine Anklage wartet.


Was also ist anders? Die Regeln des Ausnahmezustandes erlauben es dem türkischen Staatspräsidenten auch gegen Parteimitglieder mit gut geführten ‚Archiven’ rasch durchzugreifen. Inzwischen – so das Oppositionsblatt Sözcü – habe der Staatspräsident dabei den Willen von mehr als einem Drittel aller Wähler missachtet. Dabei handelt sich nicht einmal um die Wähler seiner politischen Gegner, sondern um die Bürger, die seine Partei, die AKP gewählt hatten.


Neuer Schwung für das Präsidialsystem


Das aber – so vermutet ein ehemaliger Berater von Tayyip Erdogan, Ethyen Mahcupyan – sei der springende Punkt. „Bestraft“ würden alle Bürgermeister, in deren Stadt beim Referendum über das Erdogan-System keine eindeutige Mehrheit mit Ja gestimmt hat. Neue Köpfe sollen neuen Schwung in die Kommunalpolitik tragen. Die Atmosphäre für das entscheidende Wahljahr 2019 müsse besser werden.


In Ankara wird schon wird über die Absetzung von 7 weiteren Bürgermeistern gemunkelt. Der türkische Staatspräsident ist bekannt dafür, dass er frühzeitig vor allem die Probleme erkennt, die seiner politischen Zukunft im Wege stehen. Das heißt auch: Tayyip Erdogan sieht Stolpersteine auf dem Weg zum alles beherrschenden Präsidenten – und er lässt keinen Zweifel zu: Die werden beiseite geräumt.


Im Südosten der Türkei wurden deshalb bereits 90 (!) Bürgermeister von oppositionellen kurdischen Parteien aus dem Amt entfernt. Die Gemeinden werden nun von Ankara aus zwangsverwaltet - darunter sind 8 große Städte mit bis zu 2 Millionen Einwohnern. Auch hier beruft sich Erdogans Ankara auf das Ausnahmezustandsgesetz. Die „Venedig-Kommission“ (ein Berater-Organ des Europarates) hat dagegen geprüft und festgestellt: Nicht einmal die Regeln des türkischen Ausnahmezustandes erlaubten dies.


Konsequenzen hat das bislang nicht. Zu viele im Europarat fürchten: Werden alle Mitglieder des Europarates ‚bestraft’ und ausgeschlossen, die sich nicht an die internationalen Abkommen in Sachen Demokratie und Menschenrechte halten, dann habe sich der Europarat selbst auf eine vollkommen unbedeutende Größe geschrumpft.


So gibt es gerade mal zwei Kommentatoren in der türkischen Presse, die angesichts dieser „Rücktritte“ wagten darauf hinzuweisen: Wenn schon jetzt in einem Büro in Ankara über den Kopf von Millionen Wählern entschieden werde, dann sei der Schritt zur Alleinherrschaft nicht mehr weit. Einer zitierte dabei aus einer Rede des türkischen Staatspräsidenten der vergangenen Woche. „Wir sollten keine Meinung zulassen, die glaubt, sie könne sich über die Interessen des Staates und des Volkes stellen, worum es auch immer gehen mag“. Wenige Tage später wurde ein Ermittlungsverfahren gegen den Sprecher der Oppositionspartei CHP eröffnet. Der hatte gemeint, Staatspräsident Tayyip Erdogan handle wie ein "faschistischer Diktator". Darauf der Sprecher des Staatspräsidenten: Das ist keine Politik mehr, sondern offene Feindschaft gegen den Willen der Nation.

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