Dieter Sauter
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Das Ende schädlicher Wörter

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Erstellt: 17. Januar 2018

Solange Bücher geschrieben werden, werden Bücher verboten. Aber nun wird auch die Liste „schädlicher Wörter“, die verboten sind, lang und länger.

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Erst kürzlich verbot ein Amtsgericht in der Türkei den Verkauf dreier ganz unterschiedlicher Bücher zum Thema „Kurden“. Eines befasst sich mit der Geschichte der Kurden, eines mit Konflikten zwischen kurdischen Stämmen und das dritte mit der Situation der Kurden im Norden Syriens. Alle drei seien „aus der Perspektive einer Terrororganisation“ geschrieben, so die Begründung des Staatsanwaltes, der das Verbot gefordert hatte.

Im Mai letzten Jahres wurden bei einer Razzia beim Belge Verlag in Istanbul 2000 Bücher beschlagnahmt. Dabei war keines der Bücher neu erschienen. Fast alle waren schon seit Jahren im Handel. In den Büchern habe sich eine „Verbindung zum Terrorismus“ gefunden. Das ist keine schlechte Übersetzung, das ist die verräterische Wortwahl der Zensur.

Ein Gericht im Westen der Türkei (Sakarya) nahm sogar einen Verbotsantrag gegen ein Buch des Literaturnobelpreisträgers Orhan Pamuk an (Die Frau mit den roten Haaren) weil es gegen „türkische Sitte und Anstand“ verstoße.

Es werden auch Wörter verboten

Solange Bücher geschrieben werden, werden Bücher verboten. Aber nicht nur Bücher, es werden auch Wörter verboten.

Gerade erhielt der Abgeordnete der südostanatolischen Stadt Sanliurfa, Osman Baydemir (HDP), eine Geldstrafe von umgerechnet 2.680 Euro, weil er das Wort „Kurdistan“ in einer Rede im Parlament verwendet hatte. Damit wurden zum ersten Mal die ‚Neuen Regeln für Reden im Parlament’ angewandt, über die sich die Regierungspartei AKP und die rechtsnationale MHP im letzten Sommer verständigt hatten.

Damals – im letzten Sommer – sprach kaum einer darüber, was diese „Geschäftsordnung des Parlaments“ wohl bedeuten könnte. Nur einige Oppositionelle sprachen vom „Ende der freien Rede im Parlament“.

Nach den neuen Regeln für die Parlamentsdebatten darf nun kein Abgeordneter mehr das Wort „Kurdistan“ benutzen oder von „kurdische Regionen“ sprechen. Verboten sind außerdem alle Wörter der kurdischen Sprache. Nicht verwendet werden darf auch das Wort vom „Völkermord an den Armeniern“ und alle Wörter, die die „Geschichte und die gemeinsame Vergangenheit des türkischen Volkes beleidigen“. Ebenso bei Strafe verboten sind alle Wörter, die „den nötigen Respekt gegenüber dem Parlament“ vermissen lassen.

Vom "nötigen Respekt gegenüber dem Parlament"

Welche Worte das sind entscheidet das Präsidium des Parlaments - mit der Mehrheit der Regierungspartei AKP und MHP. Parlamentarier, die gegen diese Regeln verstoßen, werden vorübergehend von der Teilnahme an Parlamentssitzungen ausgeschlossen und müssen rund ein Drittel ihres Monatsgehaltes als Strafe bezahlen.

Aber auch außerhalb des Parlaments werden mehr und mehr Wörter verboten – oder sind zwingend vorgeschrieben.

So wurde vergangenes Jahr eine Professorin, Nursen Macici, von der Marmara Universität in Istanbul gefeuert, weil sie in einer Fernsehsendung die Opfer des Putschversuches im Sommer 2016 nicht als „Märtyrer“ bezeichnen wollte. Ihrer Meinung nach werde dieser Begriff vor allem im Zusammenhang mit Religionen verwandt. Das oberste Aufsichtsgremium über die Universitäten (YÖK) sehe in solch einem Fall keine Möglichkeit der Nachsicht, war zu hören.

Schon vor einiger Zeit hatte die türkische Kommunikationsbehörde BTK eine Liste mit rund 130 „schädlichen “ Wörtern erstellt, darunter „gay“, „sex“, „porno“, oder die türkischen Wörter für „nackt“, „heiß“, „Schwägerin“, „Inzest“. Der türkische Staatspräsident Tayyip Erdogan ergänzt diese Liste ab und an. So will er nicht mehr das Wort vom „islamistischen Terroristen“ hören, denn das gebe es nicht. Keiner solle auch von einer „Arena“ sprechen, wenn er eine Sportanlage meint, denn so etwas gebe es im Türkischen nicht.

Gay, Sex und Atheisten

Für Mittelschulen hat das Erziehungsministerium ebenfalls eine Liste „schädlicher“ Begriffe zusammengestellt. Danach müssen Schüler mit Disziplinarstrafen bis hin zum Schulverweis rechnen, wenn sie im Internet zum Beispiel das Wort „gezi“ googeln.

Mittlerweile sind praktisch alle websites mit diesen und ähnlichen Begriffen gesperrt – und ein „Internet-Gesetz“ erlaubt diese Sperren nun auch ohne Gerichtsbeschluss. Blockiert wurde danach auch die Internet-Seite des ersten Atheisten-Verbandes des Landes wegen „Beleidigung religiöser Werte“, sie könne zur „Störung der öffentlichen Ordnung“ beitragen.

Wie ernst das Ende der schädlichen Wörter gemeint ist, kann man sogar im Flugzeug erfahren. Bei nicht-türkischen Unterhaltungsfilmen sind bei der türkischen Fluggesellschaft THY Worte wie „Alkohol“, „Schwul“, „Beischlaf“ oder „verflucht!“ ‚verboten’. Soweit die Filmszenen mit solchen Worten nicht sowieso rausgeschnitten sind, werden diese Wörter in den Untertiteln entweder gar nicht übersetzt oder ganz einfach anders übersetzt. Fragt im Film einer z.B. „Bist du wirklich schwul?“ – so wird das dann übersetzt mit „Was für einer bist du denn?“

Laut TWITTER Bericht war die Türkei nach dem Putsch 2016 das Land mit den weltweit meisten Zensurwünschen. Vor wenigen Tagen hat die amerikanische Menschenrechtsorganisation Freedom House die Situation in der Türkei von „nur teilweise frei“ (2016) auf „unfrei“ (2017) herabgestuft. Damit liege die Türkei in Sachen Menschenrechten gleichauf mit dem Jemen, Iran oder Afghanistan, beklagt der türkische Kommentator Serkan Demirtas.

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