Dieter Sauter - Und der Wahlsieger ist ...

Details: Erstellt: 22. April 2018

Wird er’s – oder wird er es nicht? Lässt sich jetzt schon sagen, ob Tayyip Erdogan die Präsidentschaftswahl am 24. Juni gewinnen wird? Noch wird spekuliert und kommentiert, wieso Tayyip Erdogan schließlich doch einer vorgezogenen Wahl zugestimmt hat? Schwächelt der türkische Staatspräsident?

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Befürchtet Tayyip Erdogan doch noch eine Niederlage? Weil die Wirtschaft schlecht läuft? Weil er weiß, es wird zu teuer, noch ein weiteres Jahr lang das Wahlvolk durch Feldzüge in Nachbarländern hinter der türkischen Flagge zu sammeln? Und was, wenn die „Siege“ ausbleiben oder die eigenen Verluste höher werden?

Andere verweisen auf die ‚Politbarometer’. Das stehe alles „Spitz auf Knopf“. Jetzt wird wahlgeumfragt was das Zeug hält. Aber: Gerade am Bosporus fallen die Ergebnisse meist so aus, wie der Auftraggeber es gerne hätte. Und nachdem sich inzwischen viele nicht einmal mehr im Bus oder der U-Bahn trauen mit einem Freund offen über Politik zu sprechen – wieso sollte man dann einem fremden Umfrager offen sagen, was man denkt? Besonders Mutige sagen allenfalls: Ich habe mich noch nicht entschieden – weshalb die Umfragen der Anteil an „Unentschiedenen“ auch immer hoch ist.

Wird er’s – oder wird er es nicht? Die Antwort auf diese Fragen ist genauso offen wie: Wird Bayern München dieses Jahr deutscher Fußballmeister. Es gibt kaum einen vernünftigen Grund daran zu zweifeln, dass Tayyip Erdogan diese Präsidentschaftswahl gewinnen wird.

Wer soll gegen Tayyip Erdogan antreten?

Wer sollte auch gegen ihn antreten?

Der Führer der größten Oppositionspartei (CHP), Kemal Kilicdaroglu, weiß schon je tzt: „Wir werden mit 60 % der Stimmen gewinnen!“. Nur: Das sagt er seit fast 10 Jahren – und hat alle Wahlen bisher verloren. An Rücktritt hat er deshalb aber nie gedacht. Wer kandidiert für die CHP ? Seit Wochen verkündet Kilicdaroglu, man werde einen Bewerber für das Amt des Präsidenten aufstellen, ‚den keiner ablehnen kann’ – nur: Benannt ist noch keiner. Bisher hat Kemal Kilicdargolu noch nicht einmal erklärt, ob er selbst als Kandidat antreten wird.

Ja - aber da gibt es doch die andere Kandidatin, Meral Aksener! Das ist eine Politikerin der rechten Mitte, die gerade eine neue rechtsnationale Partei gegründet hat, die IYI Parti (=die gute Partei).

In den 90iger Jahren war Meral Aksener Mitglied einer ganz anderren Partei, der Partei Tansu Cillers (DYP). Dort wurde sie sogar Innenministerin. Damals machten sich viele über sie lustig, ‚sie trage nur die alten Röcke von Tansu Ciller auf’, weil sie in ihrem Erscheinungsbild Tansu Ciller immer sehr sehr ähnlich war. Tansu Ciller ging unter – und Meral Aksener versuchte ihr Glück in einer anderen Partei - bei der rechtsnationalen Partei MHP (die in Deutschland auch mit den „Grauen Wölfen“ bekannt wurde).

Dort hat sie gelernt so aufzutreten, wie es viele türkische Wähler schätzen: Energisch, manchmal auch laut lärmend und hartnäckig. Doch der alte Parteiführer der MHP ( Devlet Bahceli) konnte ihren Aufstieg in der MHP verhindern. Er schloss eine Koalition mit Tayyip Erdogan – und schloss Meral Aksener aus der Partei aus. Deshalb gründete Frau Aksener eine neue Partei, die „gute Partei“. Die muss aber bei den Parlamentswahlen zittern, ob sie über die 10% Hürde kommt.

Einige, die „Tayyip Erdogan verhindern“ wollen, graben gar den ehemaligen Staatspräsidenten der AKP, Abdullah Gül, aus seinem Ruhestandssitz aus. Der könnte doch gegen Erdogan antreten, für die besonders konservativ-islamische Partei (SAADET). Andere sage: Wir kennen Abdullah Gül. Er hätte schon lange entschlossen gegen Tayyip Erdogan auftreten können – wenn er denn wirklich gewollt hätte und nicht das schöne Leben des Staatspräsidenten im Ruhestand einem anstrengendem Streit vorziehen würde. Immerhin ging es damit auch um die Spaltung der Regierungspartei AKP.

Tayyip Erdogan verhindern - und dann ?

Entscheidend ist bei all diesen Gegenkandidaten vor allem eines: Tayyip Erdogan verhindern? Gut und schön – und dann? Es gibt nirgends auf weiter Flur auch nur den Schimmer eines anderen politischen Konzeptes. Darüber spricht auch keiner.

Kemal Kilicdaroglu’s Politik ist schuld daran, dass eine mögliche politische Alternative von der politischen Bühne am Bosporus weggefegt werden konnte. Er hat es mit den Stimmen seiner Partei Tayyip Erdogan erlaubt, die kurdennahe Partei (HDP) praktisch zu zerschlagen: Gegen die Abgeordneten dieser Partei, die noch im Parlament sitzen, laufen zurzeit fast 500 Ermittlungsverfahren. Kilicdaroglu's 'Außenpolitik' sieht nicht anders aus. Gestern trat für eine „friedliche Mittel-Ost-Außenpolitik“ ein, und heute ist er für die Schaffung von Freiwilligenverbänden für den Einmarsch in Syrien. Ist das die Alternative?

Auch Meral Aksener hat zur zentralen Frage der türkischen Politik zur ‚Kurdenfrage’ kein Konzept außer dem des Bürgerkrieges der 90iger Jahre. Sie kritisiert Tayyip Erdogan vor allem deshalb, weil der mit Öcalan über den Frieden verhandelt habe – und sie unterstützt die Zerschlagung der HDP, weil die von der PKK geführt werde.

Selbst wenn Abdullah Gül gewählt würde: Es wäre keine Wahl für „Freiheit und Demokratie“. Die SAADET Partei vertritt einen noch rigideren islamisch-religiösen Kurs als die AKP.

Ist die Türkei wirklich "tief gespalten"?

Die Rede lautet immer wieder: Die Türkei ist tief gespalten? Das stimmt aber nur, wenn man zählt, wie viele Wähler Tayyip Erdogan und der AKP ihre Stimme geben würden und wie viele nicht. Von den „anderen 50%“ sind viele lediglich für einen „anderen Führer“ – aber nicht für ein anderes politisches Konzept.

Was aber sollte den türkischen Wähler veranlassen, jemanden zu wählen der mehr oder weniger das Gleiche will wie Tayyip Erdogan – aber schlechter?

Denn es geht bei der Wahl nicht allein um die Person Tayyip Erdogan. Es geht um ein mittlerweile wohlorganisiertes System eines AKP – Staates, in dem fast alle wichtigen Positionen von Anhängern des türkischen Staatspräsidenten besetzt sind. Würde Erdogan nicht gewählt, der neue ‚Führer’ müsste sich auf jahrelange Machtkämpfe mit diesem AKP System einstellen. Erdogan selbst hatte von 1994 (Wahl zum Oberbürgermeister von Istanbul) bis 2008 mit seinen Gegnern im Staatsapparat zu kämpfen. Kurz: Wer gegen Tayyip Erdogan stimmt, der blickt einer langen Zeit politischer Unruhen und Instabilität ins Auge. Das heißt aber auch: Die Wirtschaft läuft schlecht, es geht vielen schlechter.

Schließlich. Selbst wenn es zu einer Stichwahl kommen sollte, selbst wenn Tayyip Erdogan nicht schon im ersten Wahlgang über 50 % der Stimmen erhalten sollte – selbst wenn es dann auch noch eng für Erdogan werden sollte: Die AKP Mehrheit im Parlament hat mit einem neuen Wahlgesetz auch noch für eine „Korrektur“ des Wahlergebnisses eine bequeme Tür geöffnet.

Danach, so eine der Kommentatorinnen (Nuray Mert), werden 200 Jahre Modernisierung und Säkularisierung der Türkei rück-abgewickelt. Sie hält die Wahl am 24. Juni für „die letzte Wahl“ im Lande - für lange Zeit. Die größte Oppositionszeitung, das CHP Organ „Cumhuriyet“, hat sie übrigens wegen „abweichender Meinungen“ gefeuert.