Was hat Sie veranlasst einen Dokumentarfilm über die Griechische Gemeinde in Istanbul zu drehen? Hatten sie Schwierigkeiten während der Dreharbeiten ?

Ursprünglich wollte ich eine Dokumentation über das Zentrum der europäischen Seite von Istanbul drehen, und dort vor allem über die Haupteinkaufsstraße, die Istiklal Caddesi.  Aber die Istiklal Caddesi ist heute eine Einkaufsstraße, wie es Hunderte gibt überall auf der Welt. Wie war es dort früher, was hat die Istiklal Caddesi so verändert ?

Über diese Fragen stieß ich (erneut) auf die Geschichte der griechischen Gemeinde in Istanbul. Je mehr ich mich mit den Ereignissen von damals beschäftigte, umso klarer wurde mir, diese Geschichte hat nicht nur das Aussehen dieser Einkaufsstraße verändertde, es hat die ganze Stadt, die Türkei und selbst das Nachbarland Griechenland verändert. Und als ich nachforschte, stellte ich fest, dass es zu diesem Thema zwar etliche Bücher und schriftliche Abhandlungen gibt, aber keinen ausführlichen Dokumentarfilm.

Behinderungen bei den Dreharbeitenvon der türkischen Seite gab es keine. Es war aber nicht ganz einfach, Mitglieder der griechischen Gemeinde zu finden, die über ihre Geschichte offen sprechen wollten.

Wie sind Sie bei Ihren Recherchen vorgegangen? Haben sie Augenzeugen befragt, oder die Vorfälle zunächst in Geschichtsbüchern nachgelesen?  Auf welches  Material stützt sich Ihr Film ?

Ich lebe seit 1991 in Istanbul und hatte schon zwei Dokumentarfilme über das alte Konstantinopel gedreht sowie ein Porträt über den Patriarchen Bartholomäus. 2008 fotografierte ich für ein Buch über Istanbul einige Mitglieder der griechischen Gemeinde im Altersheim des Stiftungskrankenhauses der Gemeinde. Ich kannte die Geschichte der griechischen Gemeinde in Istanbul in groben Zügen seit langem. Und wie bei jedem Dokumentarfilm müssen Sie beides tun: Sie müssen mit den Menschen Kontakt aufnehmen, die in ihrem Film mitwirken könnten, und sie müssen über das Thema ihres Filmes recherchieren, um den Menschen, mit denen Sie sprechen, überhaupt die richtigen Fragen stellen zu können.

Wie ist man ihnen in Istanbul angesichts dieses Themas begegnet? Wir haben die Istanbuler Griechen zunächst reagiert, als sie ihnen von ihren geplanten Dokumentarfilm berichteten, und wie die Türken?

Negative Reaktionen von türkischer Seite zu den Dreharbeiten gab es keine, im Gegenteil. Von meinen türkischen Freunden hatte ich das sowieso nicht erwartet. Aber es gab auch keine negativen Reaktionen bei den Menschen, mit denen ich während der Dreharbeiten in Kontakt kam. Etliche ältere türkische Ladenbesitzer im Zentrum der Stadt bedauerten auch vor der Kamera sehr offen die Aggression damals gegen die griechische Gemeinde in Istanbul. Einer meinte: Damals, als das Zentrum der Stadt noch voll war mit Geschäften der verschiedenen Minderheiten, der Juden, Armenier und Griechen, damals sei Istanbul eigentlich eine Kulturhauptstadt Europas gewesen.

Es war nicht einfach, Mitglieder der griechischen Gemeinde zu finden, die über ihre Geschichte sprechen wollten. Es war offensichtlich: Es gibt noch Angst vor negativen Reaktionen, wenn man offen spricht, vor allem bei vielen älteren Menschen. Aber sie ist nicht mehr so gross, wie früher. Sonst hätten wir diesen Dokumentarfilm auch nicht drehen können. Vor 10 Jahren noch wäre es glaube ich nicht möglich gewesen, solch einen Film zu drehen.

Wieso haben Sie sich entschieden nur Istanbul-Griechen in ihrem Film zu Wort kommen zu lassen?

Es ist richtig, es kommen in ADIEU Istanbul nur Mitglieder der griechischen Gemeinde zu Wort. In dieser Hinsicht ist der Film zweifellos “einseitig”. Aber das ist er mit Absicht. Mir kam es darauf an, die ihre Geschichte erzählen zu lassen, die bisher nicht zu Wort kamen. Bald wird es auch kaum noch Zeitzeugen geben, Menschen, die selbst erfahren haben, was damals geschah. Dann droht ihre Geschichte in Vergessenheit zu geraten, der nach wie vor steht weder in den griechischen noch in den türkischen Schulbüchern darüber auch nur ein Wort.

Was hat sie bei dieser Geschichte am meisten bewegt?

Mich hat am meisten bewegt, als mir einer der griechischen Gemeinde in Istanbul erzählte, dass er sich nie traute, ein Dokument mit seinem griechischen Namen zu unterzeichnen. Er habe viele gute türkische Freunde, aber er glaube nicht, dass die wüssten, dass der Grieche ist. Dass man Hab und Gut verliert, schikaniert und schließlich deportiert wird ist grausam. Aber was hiess es damals, zu bleiben ? Aber ich mag mir nicht ausmalen, was es heißt, wenn ein Menschen sein ganzes Leben seine Identität verstecken muss, leben muss wie ein Verbrecher auf der Flucht, , immer in der Angst, man könnte ihn “erwischen”, entdecken, wer er ist.

Was halten Sie von all diesen Ereignissen, die sie von den Menschen erfahren haben, nicht als Filmregisseur, sondern als Mensch?

Ich fürchte, das, was die griechische Gemeinde in Istanbul erlebt hat, ist leider das Schicksal aller Angehörigen von Minderheiten überall auf der Welt, die in einer Gesellschaft leben, in der es an gegenseitigem Respekt und Toleranz fehlt. Was mir auffiel: Viele Mitglieder der griechischen Gemeinde in Istanbul waren traurig, über das was damals geschah, manche waren auch verbittert. Aber Hass habe ich nie gespürt.

Sie blicken in ihrem Film zurück in eine dunkle Periode, auf der anderen Seite befassen sich auch mit der Zukunft und der Frage wie die christliche Gemeinde in Istanbul überlebt. Glauben Sie, das die Istanbuler Griechen, die „Adieu Istanbul“ sagten, künftig auch Hallo und Willkommen sagen können?

Ich glaube, die junge Generation in der Türkei und die junge Generation in Griechenland können sich heute offener begegnen als früher. Die jungen Mitglieder der griechischen Gemeinde in Istanbul reden heute ohne Scheu über die dunklen Zeiten der Vergangenheit. Keiner der jungen Männer und Frauen aus Griechenland, mit denen ich in der Türkei Kontakt hatte, haben am Bosporus je eine Ablehnung oder eine Art von Diskriminierung erfahren, weil sie Griechen sind. Etliche waren darüber erstaunt, denn sie hatten etwas ganz anderes erwartet, zum Beispiel weil sie früher in der Schule von ihren Lehrern über die Türkei und die Türken viel Negatives gehört hatten. Ein wichtiger Faktor ist dabei ist auch, dass sich die Beziehungen zwischen Ankara und Athen gebessert haben. Und schließlich: Auch Deutsche und Franzosen können sich heute freundschaftlich und offen begegnen, obwohl sie in ihrer Geschichte jahrhundertelang nur Feindschaft und Krieg kannten.

Sie sind in einem Land geboren und aufgewachsen, wo es viel aus Griechenland und der Türkei gibt sie lebten etliche Jahre in der Türkei. Glauben Sie das beide Kulturen miteinander verwandt sind? Was beeindruckt sie am meisten in jeder dieser Kulturen?

Ich bin vor allem ein neugieriger Mensch, interessiert daran, Dinge zu erfahren und zu lernen, die mir fremd sind. Das ist auch der Grund, wieso ich schon so lange Zeit in dieser Region lebe. Ich denke nach wie vor, dass vor allem die Türkei und Deutschland zwei Länder sind, die so nah beieinander liegen, die so vieles verbindet, und die noch immer so wenig voneinander wissen. Deshalb erzähle ich auch seit über 20 Jahren Geschichten von den Menschen in der Türkei. Gerade auch die Geschichte der Türkei zu verstehen ist wichtig, denn nur wer die Geschichte eines Landes kennt, kann sich in der Gegenwart zurechtfinden.

Wie sehen Sie die Türkei heute 2013, und wie Griechenland?

Ich war bisher nur sehr selten in Griechenland, ich kann mir eine Meinung über Griechenland nicht anmaßen. Wie sehr sich die Türkei in den letzten 10 Jahren verändert hat, ist bekannt. Auch die Haltung der türkischen Regierung gegenüber den Minderheiten hat sich geändert. Manche mögen noch skeptisch sein, aber zumindest wagen es heute die meisten, offen über die Probleme zu sprechen. Das ist ein wichtiger Anfang, denn ohne offene Debatte kann sich nichts ändern.

Die Fragen stellte Sonia Mangina  7. März 2013