Dieter Sauter
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Normalisierung mit Erdogan?

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Erstellt: 26. September 2018

Wird’s historisch in Berlin? Schon seit Wochen stellen die Medien die Republik auf den Staatsbesuch des türkischen Präsidenten Tayyip Erdogan ein. ( aktualisiert am 27.09. )

 

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Die mediale Vorbereitung des Staatsbesuches von Tayyip Erdogan in Deutschland ist immens. Schon eine Woche vor der Landung der „Airforce one“ von Tayyip Erdogan in Berlin-Tegel werden Autofahrer im Fernsehen vor möglichen Staus gewarnt. Besondere Korrespondenten dürfen in Kommentaren abwägen, ob denn die Ehre eines Staatsbankettes dem besonderen Gast auch gerecht wird. Laufbänder auf den Nachrichtenkanälen nennen täglich neue Namen von Politikern, die bei diesem Essen nicht teilnehmen wollen. Sie fordern von der deutschen Bundeskanzlerin, sie müsse mit Erdogan in „klaren Worten“ über die Menschenrechtslage in der Türkei reden. Tatsächlich sollen allein am kommenden Freitag und Samstag nur in Berlin 9 Demonstrationen und Protestaktionen gegen diesen Staatsbesuch stattfinden.

Auch in der Türkei wühlen die Kommentatoren im Setzkasten für vollmundige Worthülsen. Je nach politischer Einfärbung wird in der Türkei die 200-jährige oder 100-jährige „deutsch-türkische Freundschaft“ beschworen. Einige erinnern an den Bau der (deutschen) Bagdad-Bahn oder an die Flüchtlinge aus Deutschland während der Herrschaft der Nazis. Andere versprechen, jetzt werde alles wieder gut, es gebe einen „Neuanfang“, eine „Normalisierung“ in den Beziehungen, zumindest „pragmatisch“ sollen sie werden.

Es spricht viel dafür, dass der Staatsbesuch von Erdogan mit gewaltigem Wort- und Bilderschwall begleitet wird. Danach aber wird nichts „Historisches“ erzählt werden. Sagen will es keiner so offen, aber im Kern geht es Berlin bei diesem Besuch darum: Der Satz „die Krise kommt, Erdogan geht“ darf nicht Wirklichkeit werden, das wäre für die Bundesregierung ein Alptraum.

Der Irak ist faktisch schon zerfallen. In Syrien ringen Saudi-Arabien, Iran, Russland, die USA und die Türkei darum, wer wo wieviel Einfluss hält. Putin hält dabei auch Ankara immer fester im Griff. Der Krieg in Syrien geht nicht zu Ende – er geht nur in eine neue Phase. Israel ist bereits zur neuen offenen Kriegspartei geworden.

Dazu kommt: Die USA ist schon längere Zeit mehr keine Ordnungsmacht mehr im Nahen Osten. Im Gegenteil, sie haben sich inzwischen selbst zu einem Teil des Problems dort entwickelt. Die Außenpolitik der EU für die Region besteht in wohlformulierten Presseerklärungen, die für Frieden und diplomatische Lösungen werben ohne zu sagen, wer die gegen wen wie durchsetzen soll.

Zehntausende Dschihadisten stehen an der Grenze zur Türkei um den Bombern Putins und den Truppen Assads auszuweichen - viele vielleicht auch nach Europa. Ohne eine enge Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden drohen Gefahren, die sich keiner vorstellen will.

Eine neue Flüchtlingswelle aus Syrien wäre für Ankara wirklich bedrohlich, ein wirtschaftlicher Absturz am Bosporus könnte die Regierung vollends ins Wanken bringen. Dann wäre das Chaos in der gesamten Region aber kaum mehr kontrollierbar. Schließlich ist in der Türkei selbst weit und breit keine stabile Alternative zum Regime Erdogan in Sicht ist.

Kurz: Berlin hält es für ‚alternativlos’ den Herrscher am Bosporus zu stütze - während sich die deutsche Wirtschaft über das „Tauwetter mir Ankara“ freut (FA) Der Geschäftsführer der deutschen Handelskammer in Istanbul hat dazu sogar ein neues Wort erfunden. Er wünscht sich schon seit Wochen, dass „das Thema ‚Türkei“ in Deutschland entemotionalisiert wird und sich unsere Unternehmen wieder auf die Fakten konzentrieren können“ – sprich: aufs Geschäft!). Dabei ist ganz unklar, was da gelingen kann.

Selbst regierungsnahe Kommentatoren in der Türkei vermuten, Tayyip Erdogan wäre nicht nach Berlin gereist, hätte ihn der wirtschaftliche Sinkflug im eigenen Land nicht dazu gezwungen. Ob der durch deutsche Hilfe abgefangen werden kann? Erdogans Schwiegersohn (Berat Albayrak), der Herr über Wirtschaft und Finanzen in der türkischen Regierung bedankt sich bei der Bundesregierung für die Einladung und die Zusage, die Wirtschaft der Türkei zu stützen. „Die Solidaritätsbekundung aus Deutschland hat auch deutlich gemacht, dass sich die wirtschaftlichen Turbulenzen in der Türkei weder mit makroökonomischen Indikatoren erklären lassen noch primär wirtschaftliche Gründe haben. Die (...) Kursschwankungen hat die Türkei erfolgreich gemeistert.“

Nur wenigen Politikern können mit so wenigen Worten so viel Falsches zu sagen. Es ist die Mär vom „Komplott des Auslandes gegen die Türkei“ und dass man alles im Griff habe. Ohne korrekte Analyse der Ursachen der eigenen Probleme kann man sie aber auch nicht lösen. Selbst das „Wirtschaftsprogramm“ von Albayrak ist gespickt mit märchenhaft positiven Annahmen. Im nächsten Jahr erwartet er ein Wirtschaftswachstum von 2,3 %, während die OECD nur 0,5 prognostiziert.

Inzwischen hat sich der türkische Staatspräsident selbst mit einer Schrift zu Wort gemeldet. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung druckt sie am Tag seiner Ankunft mit der Überschrift: ‚Erwartungen an Deutschland’ ab.

„Lassen Sie uns auf unsere gemeinsamen Interessen, gemeinsamen Herausforderungen und gemeinsamen Bedrohungen konzentrieren“. Zusammengefasst: Gemeinsam gegen den Protektionismus der US-Regierung, gemeinsam gegen die ‚Islamfeindlichkeit’ und Rassismus in der EU, Deutschland soll die Gülen-Bewegung als Terror-Organisation anerkennen, intensiver gegen die PKK vorgehen und mehr Geld für die Flüchtlinge in der Türkei bereitstellen.

Wie schwierig es mit der ‚Normalisierung’ werden kann, zeigt allein seine Sicht auf die Beitrittsverhandlungen mit der EU: „Zuweilen stellt Islamfeindlichkeit (...) die größte Hürde bei den Beitrittsverhandlungen der Türkei zur EU dar“

Vielleicht zielt dieser Tritt gegen die EU auf den Beschluss der EU Ende Juni. Da hatte die Europäische Union nämlich den Antrag der Türkei auf Erweiterung der Zollunion abgelehnt. Diese Erweiterung aber wäre für die Türkei bitter nötig – sie könnte zusätzlich 2 % Wirtschaftswachstum bringen, so hatte der damalige türkische Wirtschaftsminister errechnet.

Eigene Reformschritte hat Ankara bislang noch nicht unternommen. Lediglich einige Großprojekte wurden vorläufig auf Eis gelegt.

Berlin hatte seinerseits schon vor Wochen die „Wirtschaftssanktionen“ gegen Ankara aufgehoben. Vielleicht verspricht Angela Merkel ihrem Gast, sich wenigstens für Visaerleichterungen für türkische Geschäftsleute in der EU einzusetzen. Eine Reise des deutschen Wirtschaftsministers mit einer Delegation von Unternehmensvertretern Ende Oktober nach Ankara steht schon fest. Ob viel mehr von diesem Besuch bekannt wird? 

Wenn dieser Staatsbesuch auch im Nachklang ohne verbale Schubser aus Ankara bleibt, wäre das zumindest ein bisschen ‚normal’.

Wenn es jedoch um Kritik am türkischen Staatspräsidenten geht, will Ankara eher keine ‚Normalisierung’. Wie immer mahnt Mustafa Yeneroglu, AKP Abgeordneter in Ankara mit deutschem Pass und Tayyip Erdogans Strippenzieher in Deutschland: Er rückt alle Demonstrationen in Berlin in die Nähe zu PKK Aktionen – und gegen sowas müsse die Bundesregierung vorgehen, wie gegen den IS.

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