Die Beziehungen der Türkei mit den USA waren immer gut. Doch in letzter Zeit hört man häufiger schrille Töne aus Ankara Richtung Washington. Entwickelt sich der verlässliche Partner am Bosporus für Amerika zum problematischen Partner?

Immer häufiger spricht man plötzlich von der „Zeit nach Erdogan“. Aus der Kurdenpartei BDP hört man seit Januar, die Kurdenfrage könne man auch lösen, wenn der Regierungschef nicht mehr Tayyip Erdogan heisst.. Der Chef des Unternehmerverbandes TUSKON,Rıza Nur Meral, spottete gerade, Politik sei doch was für Menschen, die dem Volk dienen wollen, nicht zum Geld scheffeln. Erdogan solle lieber in die Wirtschaft wechseln. Und der US Botschafter in Ankara soll gar gesagt haben, „Sie können heute den Untergang einer Regionalmacht (Türkei) beobachten“. Der dementiert zwar sofort, aber inzwischen weiß am Bosporus keiner mehr, welches der Gerüchte und Enthüllungen, die sich gegen die türkische Regierung richten, wahr ist und welche nicht. Geht das so weiter, wird das bald auch egal sein – die politische Krise am Bosporus nimmt so oder so an Fahrt auf.

Im Wochentakt tauchen im Internet Tonbandaufzeichnungen auf, in denen er oder sein Sohn Bilal zu hören sein sollen, wie sie 30 Millionen $ Schwarzgeld verstecken, krumme Grundstücksgeschäfte abwickeln, Gerichtsurteile einfordern oder 10 Mio $ Schmiergeld für einen Bauauftrag ablehnen, weil das zuwenig sei. Selbst ergebene Berater des Ministerpräsidenten wie Yigit Bulut rechnen damit, das könnte die nächste Zeit so weitergehen, denn in den kommenden 15 Monaten stehen drei Wahlen am Bosporus an.

Schrille Töne

Tayyip Erdogan schlägt um sich. Er versetzt hunderte Staatsanwälte, Richter und Polizisten, die Korruptionsvorwürfen gegen ihn oder seine Minister vielleicht nachgehen könnten. Er tauscht 8 Gouverneure aus, entlässt Bankenaufseher und Direktoren des Türkischen Kommunikationszentrums TIB. Schließlich tauscht er überraschend auch die Botschafter in den USA, Großbritannien und Italien aus. Auch der Händel in der Außenpolitik nimmt zu und führt zu schrillen Tönen, vor allem zwischen Washington und Ankara.

Der amerikanische Botschafter in Ankara soll die türkische Halkbank beschuldigt haben, Wirtschaftssanktionen gegenüber dem Iran zu unterlaufen. Erdogan donnerte daraufhin zurück: Einige Botschafter seien in den vergangenen Tagen an Provokationen (gegen die türkische Regierung) beteiligt – und dann drohte er sogar mit deren Ausweisung: „Keiner zwingt uns, Sie in unserem Land zu lassen!“ In der englischsprachigen Ausgabe der Zeitung Zaman wird der Name des amerikanischen Botschafters in Ankara abgedruckt, damit auch jeder weiß, wer gemeint ist ( We do not have to keep you (Ricciadrone) in our country).

Das undiplomatische Poltern der türkischen Regierung hat vor allem einen Grund: Erdogan verdächtigt die USA, Drahtzieher beim Streit zwischen Fethullah Gülen und seiner Regierung zu sein. Bekanntlich residiert der Prediger Gülen in Pennsylvania – und hat viele Anhänger im türkischen Staatsapparat, die Tayyip Erdogan zur Zeit das Leben schwer machen.

Gülen wurde im türkischen Blog prompt als CIA Agent beschimpft. Manche verdächtigen gar die NSA, bei den umfangreichen Abhöraktionen beteiligt zu sein.
Nicht ganz grundlos, denn selten gab es soviel Missklang in den amerikanisch-türkischen Beziehungen wie heute. Der einst verlässliche Verbündete hat sich in den vergangenen Jahren zum problematischen Partner gemausert.

Der problematische Partner

Argwöhnisch beobachten die USA den türkischen Flirt mit Putins Shanghai Cooperation Organisation (SCO), während die Beziehungen zur EU immer prekärer werden. Gerade geht Brüssel dem Verdacht nach, Ankara habe in der Vergangenheit EU Gelder nicht ordnungsgemäß verwendet.

Oder der Nahe und Mittlere Osten: Ägypten kommt nicht zur Ruhe. In einem Referendum wurde zwar eine neue Verfassung angenommen. Trotzdem, das wichtigste Land im Mittleren Osten ist gespalten. Ankara setzt dabei ohne Wenn und Aber auf die unterlegenen Muslimbrüder in Kairo. Die wollen gar einen Fernsehkanal in der Türkei, um von dort den Grabenkrieg in Ägypten zu munitionieren. Die amtierende ägyptische Regierung wies unterdessen den türkischen Botschafter aus.

Zu Syrien wird es ohne Assad kein Ergebnis bei Friedensverhandlungen geben – aber Ankara sperrt sich gegen jeden Dialog mit ihm. Stattdessen konnte man vor kurzem in türkischen Zeitungen lesen: Die Gendarmerie stoppte den LKW einer islamistischen Hilfsorganisation (IHH) im Südosten der Türkei, der Hilfsgüter zu syrischen Flüchtlingen bringen sollte. In Wirklichkeit finden sich nur Waffen und Munition auf der Ladefläche, und ein Begleiter dieses Lkw brüllt die Gendarmen an, sie würden sich gerade in eine Operation des türkischen Geheimdienstes einmischen. Darüber hinaus gelangten Dokumente an die türkische Presse. Danach liess Ankaras Geheimdienstdienst seit Längerem Waffen aus dem Iran nach Syrien schaffen. Vor wenigen Tagen erklärte auch noch das deutsche Innenministerium, die türkische Regierung lasse zahlreiche Islamistische Kämpfer aus Deutschland, Belgien, Frankreich und den Niederlanden, ungehindert über ihr Territorium nach Syrien in den Bürgerkrieg ziehen.

Syrien, Irak, Israel – Ankara sperrt sich

Im Irak verliert die Regierung an Boden gegenüber radikalen Islamisten wie Al Kaida. Washington versucht die Maliki-Regierung in Bagdad gegen die Islamisten zu stützen - doch Ankara liegt auch mit der irakischen Regierung im tiefen Zwist. Die Türkei stellt sich im innerirakischen Streit um die Öleinnahmen des Landes auf die Seite der (sunnitischen) Kurden im Nordirak – gegen den (schiitischen) Regierungschef Maliki. Schließlich geistern auch noch Bilder durch die Medien, auf denen man Bilal Erdogan, den Sohn des türkischen Regierungschefs neben einem saudiarabischen Geschäftsmann sieht, der noch bis vor kurzem auf der Liste international gesuchten Terroristen stand.
Oder Israel: Der amerikanische Außenminister Kerry versucht mühsam, neue Friedensverhandlungen zwischen Israel und den Palästinensern anzuschieben – doch Ankara zögert noch immer, seinen Konflikt mit Tel Aviv beizulegen. Genau ein Jahr ist es her, dass der amerikanische Präsident Barack Obama bei seinem Besuch in Israel (März 2013) die Regierung in Tel Aviv dazu überredete, den ersten Schritt zu tun. Inzwischen fliegt eine israelische Airlines wieder direkt von Tel Aviv nach Ankara - mehr versöhnende Gesten gibt es nicht. Stattdessen hörte man im Oktober letzten Jahres Gerüchte, der türkische Geheimdienst habe Teheran geholfen, israelische Spion im Iran zu enttarnen.

In Teheran wiederum unterzeichnete Tayyip Erdogan - trotz wiederholter Warnungen aus den USA - bei seiner Visite im Januar dieses Jahres mit den Mullahs eine Kooperationsvereinbarung, um mit Hilfe eines gemeinsamen Wirtschaftsausschusses das Handelsvolumen zwischen beiden Ländern von 13 Mrd auf 30 Mrd USD zu steigern.


Wie um all dem die Krone aufzusetzen entschied sich der NATO Partner Türkei auch noch, ein Raketenabwehrsystem nicht in Washington zu kaufen, sondern in Peking. Dort sei es billiger. Der Deal mit dem Rüstungskonzern „China National Precision Machinery Import and Export Corporation" (CPMIEC) soll bis April unter Dach und Fach sein. Die Firma steht seit Februar 2013 übrigens auf der schwarzen Liste der USA, weil sie an Iran, Syrien und Nordkorea Waffen lieferte. Darüber hinaus wissen selbst Laien, dass China – um solch ein Raketenabwehrsystem am Bosporus zu installieren – geheime NATO Daten kennen müsste.

Mehr als nur Meinungsverschiedenheiten

Es geht also schon seit einiger Zeit um mehr als nur um Meinungsverschiedenheiten zwischen Washington und Ankara. Die USA brauchen einen verlässlichen Partner in Ankara – angesichts der zahlreichen Krisen und Konflikte im Nahen und Mittleren Osten. Darauf werden sie nicht verzichten. Sie brauchen aber keinen, der ihnen und sich selbst mit seiner Außenpolitik den Handlungsspielraum mehr und mehr einschränkt. Wie ein Alarm dazu klingt das Ergebnis der Erhebung des türkischen Forschungsinstitutes TESEV in 16 Staaten des Mittleren Ostens. Danach sank die Zustimmung der Menschen dort zur Türkei von 78 % 2011 auf 59 % 2013.

Gründe für einen besorgten Blick vom Bosporus über den Ozean gibt es genug. In Washington weiß man, in den kommenden Wahlen wird auch über die Außenpolitik der nächsten Jahre entschieden. In Ankara kennt man dagegen den Spruch: Die USA haben nur wenige Möglichkeiten zu beeinflussen, wer (im Ausland) eine Wahl gewinnt, aber viele Möglichkeiten, darauf Einfluss zu nehmen, wer verliert.