Nach 30 Jahren blutigem Konflikt mit der PKK verabschieden die Abgeordneten in Ankara zum erstem Mal ein Gesetz, in dem Schritte zur Lösung der Kurdenfrage festgelegt werden. Die einen sprechen von „historischer Entwicklung“, die anderen von „Wahlkampfmanöver“.


17 

 

Gibt es besondere Regeln für Sex während des Ramadan? Was sagen die Krawatten der drei Präsidentschaftskandidaten auf ihren Passfotos über ihren Charakter aus? Wieso ist der Regierungschef Tayyip Erdogan so vehement gegen Tattoos bei Fussballspielern ? Über solche Themen wird zur Zeit am Bosporus leidenschaftlich palavert – während von der Öffentlichkeit fast unbemerkt im Parlament zu Ankara Ungewöhnliches verabschiedet wird.

Nach 30 Jahren blutigem Konflikt mit der PKK verabschieden die Abgeordneten in Ankara zum erstem Mal ein Gesetz, in dem Schritte zur Lösung der Kurdenfrage festgelegt werden. Durch einfaches Handzeichen wirft das Parlament jahrzehntelang gültige Losungen über den Haufen.

„Wir reden nicht mit dem !“

Es gibt kein Kurdenproblem, es gibt nur ein Terrorproblem, und das wird mit militärischen Mitteln gelöst: Das war eine der ehernen Regeln, an die sich jede Regierung bislang ohne Wenn und Aber zu halten hatte. Mit Baby-Killern – gemeint war damit der PKK Führer Abdullah Öcalan – setzt man sich nicht an einen Tisch. Das schwor seit 1984 fast jeder Politiker in Ankara, seit die PKK den bewaffneten Kampf gegen die Sicherheitskräfte im türkischen Südosten aufnahm. Noch im August 2009 erklärte Staatspräsident Abdullah Gül: ‚Wir reden nicht mit dem auf Imrali’. Imrali heisst die Gefängnisinsel, auf der Abdullah Öcalan, der PKK Führer, seit 1999 einsitzt

In der Praxis hielt sich die AKP Regierung schon seit einiger Zeit nicht mehr an diese Vorgaben. Doch fast 10 Jahre lang vermied sie es peinlich, auch nur einen schriftlich fixierten Satz dazu vorzulegen. Nun ist es raus.

Die Abgeordneten ermächtigen ‚die Regierung, Einzelpersonen oder Institutionen zu beauftragen, im In- und im Ausland Verhandlungen zu führen und alle notwendigen Schritte zu unternehmen, um den Terror (PKK) zu beenden und die Einheit des Landes zu stärken.’

Es sollen alle notwendigen Maßnahmen ergriffen werden, die Mitglieder der Organisation (PKK), die ihre Waffen niederlegen und nachhause zurückkehren, die Teilnahme am normalen sozialen Leben zu ermöglichen.

Das Regierung ist ermächtigt, alle Beschlüsse zu fassen, die im Sinne dieses Gesetzes erforderlich sind.

Damit hat sich die türkische Regierung festgelegt. Die Kurdenfrage wird nicht militärisch gelöst, sondern im Zuge von Verhandlungen, mit wem diese Verhandlungen auch geführt werden müssen. Die Lösung der Kurdenfrage ist nur möglich, wenn die Reintegration ehemaliger PKK-Mitglieder gelingt.

Das sind weitgehende Festlegungen. Vor 10 Jahren waren sie unmöglich - und künftige Regierungen werden sie nur schwer rückgängig machen können. Ausserdem wird anerkannt: Die Kurdenfrage ist eine internationale Frage geworden, zur Lösung des Kurdenproblems in der Türkei sind auch Verhandlungen auf internationaler Ebene notwendig.

Die PKK ist nur eine Stimme in der Region

Bekanntlich wird das Kurdenproblem im Südosten der Türkei mehr und mehr überlagert von den Kriegen in Syrien und Irak. Wie steht Ankara zu einer „autonomen Kurdenregion“ im Norden Syriens? Die türkische Regierung weiß, dass die militärisch bedeutsamste Kurdengruppe dort ein Ableger der PKK ist. Wie verhält sich Ankara gegenüber den Kurden im Nordirak, die immer nachdrücklicher auf die Gründung eines Kurdenstaates drängen? Bekanntlich hat sich ein Großteil der PKK in den Kandil-Bergen im Nordirak niedergelassen. Ohne Antwort auf diese Fragen wird es auch keinen dauerhaften Frieden mit der PKK geben können, denn die PKK ist nur eine von vielen Stimmen, die in dieser Krisenregion das Sagen hat.

Abdullah Öcalan soll von Imrali aus neue Gesetz als „historischen Schritt“ gelobt haben. Die EU erklärt in einer Stellungnahme, das Gesetz könne einen’ Beitrag zu Stabilität und Menschenrechten und einem dauerhaften Frieden in der Türkei leisten’.

Kritiker der Regierung in Ankara dagegen rümpfen die Nase: Das Gesetz sein ein schlichtes Manöver von Tayyip Erdogan, um bei den anstehenden Präsidentschaftswahlen nach Stimmen der Kurden zu fischen. Es stimmt: Die AKP konnte durch vorsichtige Zugeständnisse gegenüber den Kurden vor allem in kulturellen Fragen Stimmen im Südosten der Türkei gewinnen. So erhielt die AKP bei den Wahlen 2006 in Diyarbakir, der Bezirkshauptstadt im Südosten, gerade mal 67.000 Stimmen. Bei den Kommunalwahlen 2014 waren es schon 252.000 Stimmen.

Alles nur ein Wahlkampfmanöver ?

Aber Tayyip Erdogan könnte mit diesem Gesetz im Westen mehr Stimmen verlieren, als er im Osten bei den Kurden gewinnen kann. Wer das nicht sieht, kennt nicht die tiefe Spaltung in der türkischen Gesellschaft in Sachen Kurden nicht. Auch wenn die Mehrheit der Türken für ein Ende der Kämpfe im Südosten der Türkei ist, noch immer sprechen sich in Umfragen gut 50 % gegen Verhandlungen der Regierung mit dem PKK-Führer Abdullah Öcalan aus. In einer kürzlich veröffentlichten Studie (Bilge Adamlar Stratejik Araştırmalar Merkezi) lehnen immerhin noch mehr als ein Drittel der Befragten einen kurdischen Staatspräsidenten oder Premierminister ab, fast ein Viertel ist gegen eine Heirat ihrer Angehörigen mit einem Kurden oder einer Kurdin. Es ist eher ein mutiger Schritt, sich vor den Wahlen in diesen Fragen öffentlich festzulegen. G

Geradlinig wäre sicher das falsche Adjektiv für die bisherige Kurdenpolitik der Regierung Erdogan. Auch in diesem Gesetz sind einige Hintertüren eingebaut. So ist mit keinem Wort von einem Kurdenproblem, oder einer Kurdenfrage die Rede ist, sondern ausschließlich vom Terror. D.h. Ankara will noch immer nicht öffentlich bekennen, dass die Kurden in der Türkei bislang nicht gleichberechtigte Bürger dieses Staates sind.Tatsächlich hätte solch ein Eingeständnis mannigfache Folgen - auch mit Blick auf die zahlreichen anderen Minderheiten des Landes.

Schließlich wird ‘die Regierung ermächtigt, alle Beschlüsse zu fassen, die im Sinne dieses Gesetzes erforderlich sind’, aber es bleibt offen, wer die Regierung kontrolliert. Kein Wort über eine Berichtspflicht der Regierung gegenüber dem Parlament, oder eine Berichtspflicht gegenüber einer Kommission, in der alle im Parlament vertretenen Parteien repräsentiert sind. Aber das war schon immer die Gangart der Regierung Erdogan: Probleme kann man lösen. Aber das muss deshalb nicht etwas mit Demokratie zu tun haben.