Der türkische Staatspräsident Tayyip Erdogan ist immer für einen Paukenschlag gut. Aber keiner hätte erwartet, dass gerade er als Hindernis für einen erfolgreichen Friedensprozess mit der PKK erscheint. Was ist los mit ihm?

Schließlich war es Tayyip Erdogan, der sich 10 Jahre lang gegen alle Querschläger um diese Friedensverhandlungen bemüht (siehe auch Artikel: Innenpolitik-Kurden -Frieden ist schwieriger als Krieg)

Es begann mit einem Wort, das keiner verstehen wollte. Eine Woche vor dem kurdischen Neujahrsfest Newroz sagt er auf einer an sich ganz unwichtigen Veranstaltung in der westtürkischen Stadt Balikesir: „Es gibt kein Kurdenproblem". Das war genau das Gegenteil von dem, was er am 12. August 2005 im türkischen Kurdengebiet, in Diyarbakir, sagte. Damals wollte er einen nachhaltigen Frieden im Südosten der Türkei anstoßen mit den Worten: ‚Es gibt ein Kurdenproblem – und es ist die Aufgabe des Staates, das Problem zu lösen'.


Und heute sagt er: Es gibt kein Kurdenproblem? Zunächst waren alle entgeistert. Doch das war noch nicht alles. Gestern (21.3.) ließ der PKK Führer Abdullah Öcalan eine Erklärung verlesen, in der er sich für ein dauerhaftes Ende des bewaffneten Kampfes der PKK ausspricht. Gerade wollen alle anstoßen auf ein Ende des 30 Jahre dauernden Krieges, der weit mehr als 40.000 Menschen das Leben gekostet hat – da hört man von Tayyip Erdogan: Diese Erklärung finde er nicht gut, den 10 Punkte Plan auch nicht und gegen eine Monitoring-Kommission für solche Friedensverhandlungen sei er sowieso. Und schießlich finde er auch die gemeinsame Pressekonferenz der Regierung mit der Kurdenpartei HDP am 28. Februar unangemessen (mehr dazu: Innenpolitik-Kurden – Frieden ist schwieriger als Krieg)


Beginnt der Versöhnungsprozess im Südosten der Türkei nun mit einem Streit zwischen dem Staatspräsidenten und der Regierung in Ankara? Wieso tritt Tayyip Erdogan, der diese Friedensverhandlungen erst ermöglichte, gegen alle Eckpunkte dieser Übereinkunft mit der PKK auf?


Erdogan schaut auf die Umfragen – und die zeigen in den vergangenen Wochen - mit Blick auf die Parlamentswahlen im Juni - einen stetigen Abwärtstrend für die Regierungspartei AKP. Die AKP verliert Stimmen, und sie verliert dabei zusehends auch Stimmen an die rechtsnationale MHP. Selbst treue Kommentatoren der regierungsnahen Zeitung Yeni Safak rücken in ihren neuesten Artikeln von der Regierung ab. Die Zugeständnisse an Öcalan seien zu weitgehend. Es rächt sich, dass die Regierung bislang – gerade mit Rücksicht auf ihre rechtsorientierte Wählerschaft – nur verschämt zurückhaltend für eine Friedensvereinbarung mit der PKK in der Öffentlichkeit geworben hat. Für die rechtsnationale Partei MHP sind Verhandlungen der Regierung mit dem „Terroristen Öcalan" sowieso gleichbedeutend mit „Landesverrat".

Die Umfragen zeigen auch: Es ist nicht mehr ausgeschlossen, dass die Kurdenpartei HDP bei den kommenden Wahlen die in der Türkei geltende 10% Hürde nimmt. Die HDP ist inzwischen als offizieller Verhandlungspartner beim Friedensprozess aufgewertet. Noch vor wenigen Jahren wollte keine im Parlament vertretene Partei auch nur mit der Kurdenpartei reden, weil die sich nicht von der PKK distanzierte.


Nun müht sich die HDP auch noch, das Image der „Kurdenpartei" loszuwerden. Sie präsentiert sich überall auch als linke und freiheitliche Opposition zur Regierung. So führt sie stolz das ehemalige Gründungsmitglied der AKP, Mehmet Firat, vor. Der kandidiert nun für die HDP, weil ihm die AKP zu rechts sei.
Das schlimmste Szenario für Tayyip Erdogan ist: Die HDP kommt über die 10% Hürde und die AKP verliert außerdem spürbar Wähler an die rechte MHP. Dann wäre jede Mehrheit der AKP dahin, um eine Verfassungsänderung zu organisieren. Kurz: Tayyip Erdogan fürchtet, er und die AKP könnten die großen Verlierer dieser Friedensverhandlungen werden.


Ohne Verfassungsänderung aber kein mächtiger Präsident . Die wenigen Monate als Staatspräsident ohne verfassungsmäßige Vollmacht haben ihm gezeigt, wie schwer es sein kann, die Regierung und die Regierungspartei AKP „von außen" zu händeln. Offensichtlich wurde das für alle erst kürzlich: Da trat der Geheimdienstchef Hakan Fidan plötzlich von seinem Posten zurück, um als AKP Abgeordneter für das Parlament zu kandidieren. Er war einer der engsten Vertrauten Erdogans in den Sicherheitskräften, er war über Jahre der glaubwürdige Unterhändler bei den Friedensgesprächen mit Öcalan – und es gab noch nicht einmal einen Nachfolger für ihn. Was in den Absprachen zwischen Tayyip Erdogan, der Regierung und der Partei schief gelaufen war, blieb im Dunkeln.


Für jeden sichtbar war: Mit einer Vollbremsung konnte Tayyip Erdogan dauerhaften Schaden für die Regierung, die Sicherheitskräfte und auch den Friedensprozess mit der PKK abwenden. Hakan Fidan trat von seinem Rücktritt zurück – und ist mittlerweile wieder Chef des türkischen Geheimdienstes.

 

Jetzt tritt es Erdogan bei den Friedensgesprächen mit der PKK auf die Bremse . zumindest bis zu den Wahlen. Es kann sein, dass es bis dahin keine weiteren Fortschritte beim Friedensprozess mit der PKK gibt. Nein, Tayyip Erdogan ist nicht gegen einen nachhaltigen Frieden mit der PKK. Aber eine Verfassungsänderung, die einen mächtigen Präsidenten vorsieht, das geht für ihn einstweilen vor – und darüber wird zunächst bei den Wahlen im Juni entschieden.

 

Vordergründig wird nun am Bosporus heftig über einen Streit zwischen der Regierung, bzw. dem Regierungssprecher Bülent Arinc, und Tayyip Erdogan debattiert, denn Arinc hatte Erdogan entgegnet: Über die Einzelheiten der Gespräche mit Öcalan entscheide die Regierung, nicht der Staatspräsident. Der 67 jährige Bülent Arinc ist jedoch seit Jahrzehnten einer der engsten politischen Gefährten Erdogans. Jedes Jahr wird ein oder zwei Mal über ernste Differenzen zwischen beiden berichtet. Nachträglich aber stellt sich immer heraus, die beiden spielten nur den Klassiker: Good cop, bad cop. So wurde zu Beginn der Gezi-Proteste 2013 berichtet, Bülent Arinc gehe auf die Demonstranten zu und kritisiere die harte Haltung Erdogans. Das sollte den Demonstranten ein Einlenken ermöglichen. Doch dazu kam es nicht. Zwei Wochen später hörte man Bülent Arinc dann mit den Worten: Man könne auch die Armee gegen die Demonstranten einsetzen.


Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Äußerungen Arincs der kurdischen Seite lediglich signalisieren sollen: Von einem Abbruch der Friedensverhandlungen ist nicht die Rede. Nur so kann auch der angekündigte PKK Kongreß stattfinden, auf dem das Ende des bewaffneten Kampfes endgültig beschlossen werden soll.