Die Schwulengruppe Lambda soll verboten werden und ein Professor weiss: Regelmässiges Beten und mystische Musik hören helfe bei der Heilung von dieser Krankheit.

 

 

Am Donnerstag (29.05.) hat das Gericht in Istanbul entschieden: Die Schwulengruppe Lambda wird geschlossen. Die Richter folgten damit der Meinung der Staatsanwaltschaft, wonach ein Verein nach den türkischen Gesetzen „zum Wohle des Staates und der Familie“ zu handeln habe. Die Schwulen aber hätten nach § 56 des Bürgerlichen Gesetzbuches mit Lambda einen Verein gegründet, der im Widerspruch stehe „zum türkischen Recht und der Moral“.

In der Stadt Bursa wurde vergangenes Jahr ein Schwulencafe nur zwei Tage nach seiner Eröffnung aus dem gleichen Grund von den Behörden wieder geschlossen. Als dort 40 Transvestiten einen Verein gründen wollten, kam gar die Polizei und nahm erst einmal alle fest. In Istanbul brach zur gleichen Zeit eine heftige Diskussion los, als an einer Istanbuler Privatuniversität zum ersten Mal eine „schwule Studentengruppe“ zusammentrat. Eine Tageszeitung startete eine Umfrage unter den anderen Hochschulen der Stadt: Keiner der Rektoren der anderen Unis war bereit, die Gründung einer schwulen Studentengruppe sofort zu erlauben. Die Stellungnahmen reichten von „ für so was interessieren sich unsere Studenten nicht“ bis: „Wir achten darauf, dass unsere Studentengruppen zum Wohle der Gesellschaft tätig sind“.

Immerhin, der Vorsitzende der Menschenrechtskommission des türkischen Parlaments und Mitglied der Regierungspartei AKP , Zafer Üskül, nahm vor wenigen Tagen (14.5.) am einem Kongress gegen Homophobie in Ankara teil. Es war das erste Mal in der Geschichte der Republik, dass ein Mitglied des Parlaments zusammen mit Schwulenorganisationen auftrat. Sofort titelte die rechtsislamistische Zeitung Vakit: „Üskül zeigt sich gerne als Perversenfreund “. Wenn man den Umfragen in der Türkei glauben darf, dann vertreten der Schreiberling und der Staatsanwalt in Istanbul die Meinung der Mehrheit in der in der Türkei. Bei einer Untersuchung der Abteilung für politische Wissenschaften der Bosporus Universität sagten 76 % zu der Frage, was sie am meisten störe: Schwule. Das war der höchste gemessene Wert überhaupt. Noch immer, so klagt die Wissenschaftlerin Dr. Nesrin Yetkin vom Ausbildungs- und Forschungsinstitut für Sexualtherapie in Istanbul, hielten sogar 25% der Ärzte (!) Schwulsein für eine Krankheit, die behandelt werden müsse.

So schrieb ein Prof. Dr. Süleyman Ates vor nicht allzu langer Zeit in einer Zeitung als Antwort auf den verzweifelten Leserbrief eines Schwulen: Er solle sich Selbstmordgedanken aus dem Kopf schlagen. Regelmässiges Beten und mystische Musik hören helfe bei der Heilung von dieser Krankheit.

Kein Wunder, dass die Organisation Lambda ein düsteres Bild von der Lage der Schwulen in der Türkei zeichnet. So würde jeder Zehnte schwule Jugendliche von seinem Vater oder einem anderen Verwandten zwangsweise ins Puff geschleppt, um endlich mal als „richtiger Mann“ mit einer Frau zu schlafen. Nach den Daten von Lambda in Istanbul haben ausserdem 87 % der Schwulen, die mit ihnen gesprochen hatten, Beleidigungen oder andere negative Reaktionen erfahren, 23 % wurden schon von Nachbarn, „Freunden“ oder Fremden verprügelt, weil sie schwul sind, 8 % mussten nach solchen Prügeln sogar mehrmals im Krankenhaus behandelt werden.

„Ich hatte während meines Militärdienstes einem guten Freund erzählt, dass ich schwul bin. Was dann folgte, war ein Alptraum. Jeder in meiner Umgebung hat mich aufgezogen, mich beleidigt, mich angeschrieen und mir Schläge angedroht. Schliesslich wurde ich verprügelt. Ich habe mich daraufhin an einen Vorgesetzten gewandt und der sagte mir nur: Du solltest das auf keinen Fall melden. Wenn das rauskommt, dann wird alles nur noch schlimmer. Vielleicht erstechen sie dich dann sogar.“ Soweit die Aussage eines Schwulen im 100 Seiten starken Bericht über Gewalt gegen Schwule in der Türkei, die „Human Rights Watch“ zusammen mit türkischen Schwulenorganisationen ebenfalls vor wenigen Tagen in Ankara vorstellte. Allein in der türkischen Hauptstadt wurden in den letzten Jahren 17 Transvestiten ermordet. Die Schwulenorganisation Lambda berichtet ausserdem, fast zwei Drittel der von ihnen befragten Schwulen, die sich wegen ihrer Homosexualität vom Militärdienst befreien lassen wollten, wurden „anal untersucht, ob das stimmt“, ein Drittel musste sogar der zuständigen Stelle ein Foto vom Geschlechtsakt mit einem Mann als Beweis vorlegen, obwohl eine neuere Bestimmung der Türkischen Armee das inzwischen untersagt.

Auch Politiker sind von der Schwulenhatz nicht ausgenommen. Ein sog. sozialdemokratischer (!) Abgeordneter der CHP kritisierte im Parlament einen Kollegen der AKP mit den Worten: Der benimmt sich, als ob er schwul wäre. Ein „chronisch lediger“ 46 Jahre alter Abgeordnete der Regierungspartei AKP musste bei den Wahlen 2002 seinen Wählern öffentlich versprechen, er werde bis zu den nächsten Wahlen verheiratet sein. Im Mai vergangenen Jahres, wenige Wochen vor den Wahlen, hat er unter grossem Anteil der Öffentlichkeit geheiratet. Als die schwedische Kronprinzessin Viktoria bei einem Besuch in Ankara zu dieser Zeit das Thema „Schwulsein“ ansprach und fragte, ob es schwule Abgeordnete im türkischen Parlament gäbe, erhielt sie die kurze und schlichte: Nein !

Nur bei den Touristen scheinen die Türken inzwischen toleranter. Als die Ferienstadt Kusadasi vor einigen Jahren einem Kreuzfahrtschiff, auf dem vor allem Schwule aus Europa Urlaub reisten, das Anlegen verbot, fuhr dieses nach Griechenland weiter. Sofort errechneten Geschäftstüchtige recht rasch, wie viele Einnahmen den Restaurants und Händlern entgangen waren. Seither darf jedes Schiff anlegen, auch wenn nur Schwule und Lesben an Land gehen.