Wer kann bei diesem Ergebnis feiern ? Das Wahlergebnis hat die politischen Kräfte so austariert, dass viel Unruhe programmiert ist.


Fast trotzig schwenkten die AKP Anhänger in der Wahlnacht ihre Fahnen vor der Parteizentrale in Ankara. Die AKP ist mit knapp 41 % immer noch die stärkste politische Kraft im Land. Aber sie hat mehr als 9 % an Stimmen verloren, das sind fast 20 % ihrer Wähler, meint Ali Bayramoglu, ein AKP nahestehender Kommentator.


Der Verlust wiegt umso schwerer, als die Partei überall auch den Staatsapparat und die meisten Medien für ihre Wahlkampagne eingespannt hat. Und jetzt das ! Sie schickt nicht genügend Abgeordnete ins Parlament, um eine Verfassungsänderung zu initiieren. Sie hat nicht einmal genügend Abgeordnete, um allein die Regierung zu stellen. Sie hat damit alle wichtigen Wahlziele verfehlt: Sie kann nicht die Verfassung ändern, um dem Staatspräsidenten umfangreiche Rechte einzuräumen, noch kann sie einfach weiter regieren.


Wer oder was ist schuld, dass die AKP nicht mehr die Regierung stellen kann? Zunächst war es wohl die lahmende Wirtschaft mit steigenden Arbeitslosenzahlen. Der Index in Sachen Zuversicht der Verbraucher und der Unternehmen sank allein in den letzten 12 Monaten um 15 %. Dann waren viele AKP Wähler enttäuscht, weil die Probleme des Landes mit über 2 Millionen Flüchtlingen aus Syrien und dem Irak immer drängender werden - und die Regierung einfach schweigend darüber hinwegging. Fachleute warnen die Regierung seit langem vor sozialen Unruhen, wenn nicht bald die nötigen Maßnahmen getroffen werden. Und schließlich war es auch das zunehmend selbstherrliche Auftreten des Staatspräsidenten Tayyip Erdogan. Der Imageverlust Erdogans gipfelte vor wenigen Tagen in einer absurden Debatte, ob im Palast des Staatspräsidenten die Klodeckel aus Gold sind. Selbst diejenigen, die ihn bis zum Schluss verteidigten wie der Islamist Abdullrahman Dilipak, sagten nur noch: Die anderen sind doch auch nicht besser. Wie wird Tayyip Erdogan nun reagieren ? Wird der sagen: Als ich Regierungschef war, haben wir immer gewonnen - und was ist jetzt ? Wird sich Ahmet Davutoglu das gefallen lassen? Wen werden die Minister und Abgeordneten beschuldigen, die jetzt ihren Posten verloren haben?


Gibt es nur Krach in der Partei oder einen Streit, der die Partei zerreißt?


Mit wem sollte die AKP koalieren? Bei dem vorliegenden Wahlergebnis bliebe z.B. die Zusammenarbeit mit der rechtsnationale MHP. Zusammen habe beide eine satte Mehrheit von über 57 % der Stimmen. Der MHP Parteichef, Devlet Bahceli, hat aber schon vor Wochen erklärt: Wir wollen das Präsidialsystem von Tayyip Erdogan nicht. Weder in der Kurdenfrage noch in den wichtigen Fragen der Wirtschaftspolitik sind sich die beiden Parteien nicht einmal annähernd einig. Leider gibt es auch für das Wort „Kompromiß" nicht einmal ein passendes Wort auf Türkisch. Die MHP würde außerdem in einer Koalition mit der AKP die Einmischung des Staatspräsidenten Tayyip Erdogan in die Regierungsgeschäfte außerdem nicht dulden. Wie soll solch eine Koalition funktionieren?


Grund zum Feiern hätte die ehemalige Kurdenpartei HDP. Sie hatte sich vor allem im Wahlkampf als linksliberale Alternative für die gesamte Türkei vorgestellt - und nun fast 13% der Stimmen erhalten ( in der Türkei gibt es eine 10% Hürde). Rund 2,5 Mio mehr Wähler als 2011 haben ihr die Stimme gegeben. Damit schickt sie 79 Abgeordnete ins Parlament (2011: 36). Das war in den letzten 20 Jahren keiner der Kurdenparteien gelungen.


Die HDP hat in allen Wahlkreisen an Stimmen gewonnen. Es mag paradox klingen, aber sie hat auch von der 10% Hürde ,profitiert'. Viele haben sie gewählt, damit sie sicher über die 10% Hürde kommt. Was aber wird sie mit diesem Wahlergebnis machen? Ihre zwei wichtigsten Wahlversprechen waren: Mit uns wird Erdogan kein Alleinherrscher, es wird es kein Präsidialsystem geben - und: Wir werden mit der AKP keine Koalition eingehen. (siehe auch Artikel (Innenpolitik): Der Verlierer steht schon fest ... )


Aber was wird sie mit diesem Wahlerfolg anfangen ? „Wir haben für alle Unterdrückten in diesem Land gewonnen", sagte der Vorsitzende Selahattin Demirtas bei seiner ersten Rede in der Istanbuler Parteizentrale. „Wir kämpfen für die Arbeiter, für alle Minderheiten, für die Kurden, für Frauen die für Gleichberechtigung sind - und wir stehen hinter unseren Versprechen. Wir wollen keinen enttäuschen". Wie will er dieses Versprechen halten ?


Die HDP hat vor allem im (zumeist von Kurden bewohnten) Südosten der Türkei Stimmen von der AKP gewonnen. Dort sind besonders viele AKP Wähler zur HDP gewechselt. Das war ein weiterer Grund für den Stimmenverlust der AKP. Zu sehr hatten die Regierung und vor allem Tayyip Erdogan in der Kurdenfrage hin- und herlaviert. Wie aber soll der HDP dieser Wahlsieg bei der Lösung der Kurdenfrage helfen ? Mit der AKP will die HDP nicht, gegen die AKP aber geht nichts. Und was wird der PKK Führer Öcalan nun von der HDP fordern? ( siehe auch Artikel (Innenpolitik) : Der Verlierer steht schon fest ... ). Öcalan hatte sich schon 2013 für ein Präsidialsystem im Sinne Tayyip Erdogns ausgesprochen. Wird Öcalan die HDP drängen, mit der AKP zusammen zu arbeiten, um bei der Lösung der Kurdenfrage weiterzukommen - und ihr Wahlversprechen zu brechen?


Der Verlierer der Wahl ist die größte Oppositionspartei, die CHP. Sie konnte auch nach 13 Jahren Opposition keine Stimmen gewinnen - im Gegenteil, sie hat sogar leicht verloren (jetzt: 25%) Ihr Parteichef Kemal Kilicdaroglu wollte dazu nicht einmal vor der Partei eine Erklärung abgeben - und überließ das dem Generalsekretär. Die CHP ist die zur Partei gewordenen Schwäche der Opposition am Bosporus. Auch in dieser Partei steht ein Streit darüber an, wer schuld ist an diesem Wahlergebnis - Ausgang ungewiss.


Das Wahlergebnis gibt den Kritikern der AKP und Tayyip Erdogans eine Chance - aber leicht wird es für sie nicht. Nach der Auszählung der Stimmen sind die politischen Kräfte so austariert, dass viel Unruhe programmiert ist. Keine Partei kann mit diesem Wahlergebnis so agieren, wie sie es sich auf ihre Fahnen geschrieben hat. Es ist kein gutes Zeichen, dass schon in der Wahlnacht der eine oder andere Kommentator sogar von vorgezogenen Neuwahlen spricht. Verschlechtern sich angesichts der politischen Instabilität die Wirtschaftsdaten weiter, könnte das wie ein Brandbeschleuniger wirken.