Dieter Sauter
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Die Pest – oder die Pest?

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Erstellt: 05. Februar 2018

Der Schaden, den der Krieg der türkischen Armee in Nordsyrien anrichten kann, ist schon jetzt gewaltig. Worum geht es?

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Während der türkischen Staatpräsident Tayyip Erdogan überall auf Fotos gezeigt wird, wie er dem Papst in Rom die Hand schüttelt, überschlagen sich die Meldungen über erbitterte Kriegshandlungen im Norden Syriens.

Die Türkei war gerade als „Garant für einen Waffenstillstand” in der Provinz Idlib aufmarschiert. Aber sie ist dieser Aufgabe offenbar nicht gewachsen. Sie kann nicht verhindern, dass dort die heftigsten Kämpfe seit langem geführt werden. Assads Truppen gehen mit massiver Luftunterstützung gegen islamistische Rebellen vor. Dabei soll sogar Giftgas eingesetzt worden sein.

Stattdessen kämpft die türkische Armee mit allem was sie hat in einer ganz anderen Provinz im Norden Syriens, in der Provinz Afrin (Operation Olivenzweig). Auch dort scheinen militärische Probleme der türkischen Armee offensichtlich. Mit siegessicher geschwellter Brust hatte die türkische Regierung versprochen, man werde sehr rasch in der Provinzhauptstadt Afrin einmarschieren und von den Terroristen der Kurdenorganisation PYD „säubern“. Inzwischen geht die Militäroperation in die dritte Woche. Die Stadt Afrin, nur wenige Kilometer hinter der türkischen Grenze, ist immer noch nicht erreicht. Stattdessen feiern die regierungsnahen Medien jeden Tag die Eroberung eines Dorfes und den Sturm eines Hügels, als habe Mehmet der Eroberer erneut Konstantinopel eingenommen.

Wie wenig ernst die Meldungen vom Kriegsgeschehen zu nehmen sind zeigt auch: Wie Wasserstandsmeldungen wird jeden Tag eine Zahl von „unschädlich gemachten“ Terroristen veröffentlicht: Erst waren es gut 100, dann 200, dann 300, 500, inzwischen ist man bei 947 – als ob eine Kommandozentrale ernsthaft täglich alle Opfer von Kampfhandlungen zählen könnte.

Nach wie vor liegt das strategische Ziel dieser Operation Olivenzweig im Dunkeln (mehr dazu auch hier). Der Schaden, den dieser neue Krieg in Syrien anrichtet, ist jetzt aber schon erkennbar. Er ist groß und ist wohl dauerhaft.

Zunächst strahlt der Sprecher des türkischen Staatspräsidenten Tayyip Erdogan (Ibrahim Kalin) letztes Wochenende vor der ausländischen Presse: Die ‚internationalen Reaktionen auf die Operation Olivenzweig’ seien im Allgemeinen positiv. Damit meint er ausdrücklich auch: Es herrscht weltweit eine verblüffende Stille um die Frage, ob der Einmarsch der türkischen Truppen in Syrien nicht ein Verstoß gegen das Völkerrecht ist. Bekanntlich war von syrischem Territorium aus kein Angriff auf die Türkei erfolgt, bevor die Truppen Ankaras in Nordsyrien einmarschierten.

Dieses Schweigen kann dem Ringen um die Einhaltung der Regeln des Völkerrechts auf lange Sicht schaden. Auffällig war schon das weltweite Schweigen im letzten Oktober. Damals stellte der türkische Staatspräsident das Völkerrecht bereits in Frage und erklärte, man werde alles, was im Irak und Syrien passiert, ab jetzt als „innere Angelegenheit“ der Türkei behandeln.+


Stillschweigend wird heute nebenbei auch geschluckt, dass die türkische Regierung im eigenen Land bereits Hunderte festnehmen ließ, die den Sinn und die Berechtigung dieses Krieges auch nur debattieren.

Doch damit nicht genug: Der Krieg könnte sogar zu einer bewaffneten Konfrontation zwischen den beiden NATO Partnern USA und Türkei führen. Er würde damit das Verteidigungsbündnis NATO dauerhaft schwächen, dem Einfluss Russlands im Nahen- und Mittleren Osten noch weit mehr Raum geben als bisher - und die Spannungen zwischen den Golfstaaten, dem Iran, der Türkei, dem Assad-Regime und den Kurden könnten außer Kontrolle geraten.

Verantwortlich dafür sind zunächst die eklatanten Schwächen und Fehler der amerikanischen Außenpolitik. Washington überrascht Ankara und die Welt täglich mit einer neuen Meldung über seine Absichten in Syrien und der gesamten Region. Dass die neue Nachricht der vom Vortag manchmal sogar ausdrücklich widerspricht bleibt einfach so stehen. Seit Monaten fördern die USA den Eindruck, als sei der Trump Regierung die Lage in der Region nicht wirklich wichtig. Sogar der Botschafterposten Amerikas in Ankara ist seit Monaten unbesetzt. Diplomatie, die diesen Namen verdient, sieht so nicht aus.

Putin hat erkannt, dass er über einen Einmarsch der türkischen Armee in Syrien den Spalt zwischen der türkischen Regierung und den USA unverhofft leicht vergrößern kann. Er kann damit sogar die NATO auseinandertreiben.

Bekanntlich rückt die türkische Armee gegen die nordsyrischen Kurden der YPG vor. Die gelten Erdogan als nordsyrisch angemalte PKK Terroristen. Doch diese Kurden sind die einzig verlässlichen militärischen Fußtruppen der USA in Syrien. Ohne sie hat Washington in Syrien nichts mehr zu sagen. Die Folge: Russland, Iran und Assad gewinnen weiter an Einfluss. Bleibt Amerika deshalb an der Seite seiner kurdischen Fußtruppen, verliert es aber möglicherweise die Türkei dauerhaft als Bündnispartner und vielleicht auch als NATO Mitglied.

Es scheint als wolle Ankara die USA vor die Wahl stellen: Welche Schwächung ist euch lieber?

Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu hatte am Wochenende die USA sogar als „Bedrohung für die nationale Sicherheit“ seines Landes bezeichnet. Der Regierungssprecher Bekir Bozdag drohte am selben Tag, die türkische Armee werde auch auf US Soldaten schießen.

Besonders bemerkbar macht sich in dieser Lage auch die augenfällige Schwäche der EU Außenpolitik. Man erinnert sich an das Wort der deutschen Bundeskanzlerin, man könne sich nicht mehr in allen Fragen auf die USA verlassen sondern müsse seine Interessen selbst in die Hand nehmen. Selten lagen Anspruch und Wirklichkeit so weit auseinander. Lediglich Emmanuel Macron drohte Ankara, die EU werde keine „dauerhafte Invasion“ hinnehmen – womit er allerdings den Einmarsch der türkischen Armee in Syrien diskret akzeptierte.

Und was hat die Türkei davon ? Außenpolitisch verhilft Erdogan seinem Lieblingsfeind Assad zu militärischem Gelingen in Syrien, denn er schwächt die Gegner Assads erheblich. Er treibt außerdem die verfeindeten Kurden in Syrien und Irak zusammen und lässt sich vom Konkurrenten Iran auch geopolitisch einkreisen. Schließlich fliehen erneut Tausende Zivilisten aus Syrien in die Türkei. Ist das eine erfolgversprechenden Strategie?

Nur innenpolitisch. Denn innenpolitisch gewinnt Tayyip Erdogan mit diesem Feldzug. Im Windschatten der propagierten „nationalen Einheit im Krieg“ stellt er die gesamte türkische Opposition kalt und schmiedet Bündnisse mit rechtsnationalistischen kleinen Parteien für die Wahlen 2019.

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