Dieter Sauter
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Hat Erdogan gewonnen oder verloren?

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Erstellt: 02. April 2019

Ist es eine Niederlage, die Tayyip Erdogan bei den Kommunalwahlen am Wochenende eingesteckt hat? Und wenn ja, wie groß ist sie und was heisst das?

 

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Ankara verloren, Istanbul verloren, auch Antalya wird nun von der Opposition regiert, Izmir, sowieso – wird dieses Wahlergebnis das Land verändern?

Tatsächlich haben die Kommunen kaum mehr etwas zu entscheiden, wenn der Präsident Tayyip Erdogan sich querstellt. Er kann nach seinem neuen Präsidialsystem den Kommunen den Geldhahn zudrehen, ohne dass die sich wehren können. Wenn Erdogan möchte, übernehmen seine Gouverneure in der Region das Sagen. Er hat in den letzten zwei Jahren sogar bald 100 gewählte Bürgermeister einfach entlassen und eine Zwangsverwaltung nach seinem Gusto eingesetzt.

Und trotzdem waren Erdogan und den Seinen sichtbar irritiert über den Wahlausgang. Dabei hat er im Wahlbündnis mit Devlet Bahceli und seiner rechtsnationalistischen ‘Partei der Nationalen Bewegung“ (MHP) immerhin landesweit 51,7 % geholt. Ist das keine ansehnliche Bilanz?

Eine 'große' Türkei mit einem 'mächtigen Führer' ?

Zunächst hätte sich jeder gewundert, wenn Erdogans AKP angesichts der Wirtschaftskrise nicht weniger Stimmen erhalten hätte, als bei den letzten Wahlen. Tatsächlich hat das „Republikanische Bündnis“ im Vergleich zu 2018 landesweit aber über 3 Millionen Stimmen weniger erhalten, das ist immerhin ein Rückgang um 10 %.

Für die AKP ist außerdem nicht das erste Mal, dass ihre Zustimmungswerte sinken. 2015 erhielt Erdogans Partei in Istanbul allein noch mehr Stimmen (4,5 Mio) als dieses Mal im Bündnis mit Devlet Bahceli (4,1 Mio)

Eine große Türkei braucht einen großen, einen mächtigen Führer – das ließ die AKP überall plakatieren – mit einem riesigen Portrait von Tayyip Erdogan. Tatsächlich wurde der Führer Erdogan immer mächtiger – das Land aber nicht „größer“.

Was jeder sehen kann: Die AKP hat in den Kommunen viele Straßen, Straßenbahnen, U-Bahnlinien, und riesige Wohnanlagen bauen lassen. So hat sich für viele der Lebensstandard verbessert, auch wenn die Verbindungen zwischen den Verkehrsmitteln oft haarsträubend und viele Betonburgen ausnehmend hässlich sind.

in schlechtem Zustand

Aber zu welchem Preis? Nirgends gibt es einen sichtbaren Fortschritt in der Industrie. Die meisten Betriebe schrauben immer noch das zusammen, was anderswo entwickelt wurde. Das Bildungssystem hangelt sich von einer misslungenen Reform zur anderen. Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit in Europa (OECD) warnt, die Türkei habe das schlechteste Bildungssystem von 36 Staaten.

Die Landwirtschaft liegt am Boden, Allein im Februar drohten 17 tsd Landwirten die Zwangsversteigerung ihres Hofes, weil sie überschuldet sind. Unsummen sind im Dunkel von Betonmischmaschinen und deren Besitzern verschwunden – und jetzt, wo die Gelder weg sind, laufen auch die nicht mehr rund. Die Arbeitslosigkeit und Inflation ist so groß wie vor langer Zeit. Zwischen drei und vier Millionen Flüchtlinge aus Syrien machen dem Land zu schaffen – und aus dem Ausland wollen lang nicht mehr so viele wie früher ihr Geld am Bosporus anlegen, weil sie nicht überschauen, wie sie bei einem Streit zu ihrem Recht kommen könnten.

Auch außenpolitisch ist die Türkei keineswegs „groß“, sondern so „klein“ wie weiland vor 20 bis 30 Jahren. Sie liegt im Streit mit fast allen Staaten der Region. Sie führt Krieg im Nordirak und Syrien – gegen die PKK und die Kurden in Syrien wie vor 20 -30 Jahren. Sie kann das aber nur, weil Wladimir Putin das der türkischen Armee erlaubt – und solange er ihr das erlaubt. Und sie kann das auch nicht mehr, wenn die USA der Türkei dafür die Unterstützung bei der Aufklärung und Militärtechnik verweigert. Es ist eine Zwickmühle ohne Hinweis auf einen Ausweg – so wie Erdogan ‚raus aus der EU’ will ohne die Beitrittsverhandlungen zu beenden.

Der Schatten der Niederlage

Fazit: Knapp 52 % sind kein schlechtes Ergebnis, in westlichen Demokratien würde man sagen: Super! Doch in der Türkei ist das anders. Selbst wer den Verdacht der Opposition nicht ernst nehmen mag, bei diesen Ergebnissen werde manipuliert: Für Tayyip Erdogan ist es ein äußerst knapper Wahlausgang. Denn kein Führersystem kommt ohne Rechtfertigung aus, „das Volk“ oder „die Nation“ zu vertreten und jede Stimme unter 50 % steht dem entgegen.

Der Verlust der Bürgermeisterposten in Istanbul und Ankara trifft Erdogan, denn seine Kandidaten haben verloren – trotz der ungleichen Chancen bei der Wahl. Umso deutlicher blinkt das Zeichen ist, dass selbst das Bündnis mit den Rechtsnationalisten der MHP seinen Rückgang in der Gunst der Wähler bislang nicht aufhalten konnte. Deshalb will Erdogan zumindest in Istanbul noch einmal einen Teil der Stimmen auszählen lassen. Doch welche Zahlen nachher auch veröffentlicht werden, der Schatten der Niederlage – mit der man sich dann nicht einmal abfinden wollte – wird bleiben.

Ob die Opposition diesen Wahlerfolg nutzen kann, ist noch unklar.

Tatsächlich war der Sieger in Istanbul, Ekrem Imamoglu, von der großen Oppositionspartei CHP, zunächst nur ein ‚Verlegenheitskandidat’ eines unschönen Machtkampfes innerhalb der CHP. Kaum einer kannte ihn. Umso größer war das Erstaunen, dass es ihm während des Wahlkampfes gelang, so viele in Istanbul zu erreichen und zu gewinnen. Wichtig war, dass sich auch die CHP zu einem Wahlbündnis mit einer rechtsgerichteten und einer religiösen Partei durchringen konnte.

Vor allem die Kurdenpartei HDP hat zum Sieg Ekrem Imamoglu’s erheblich beigetragen. Sie hatte in Istanbul keinen Kandidaten aufgestellt und aufgerufen, die CHP zu unterstützen, obgleich die CHP kein offizielles Bündnis mit ihr eingehen wollte. Bei den letzten Wahlen in Istanbul erhielt die HDP 1,195 Mio Stimmen, Ekrem Imamoglu von der CHP bei dieser Wahl bekanntlich 4,17 Mio Stimmen.

Wie die CHP mit ihrem Wahlsieg in Istanbul umgehen wird, kann noch keiner sagen. Bislang jedenfalls hat die Partei noch immer jeden politischen Fortschritt in Machtgezänk innerhalb der Partei aufgerieben.

Mehr als vier Jahre keine Wahlen mehr

Tayyip Erdogan hat seinerseits schon vor den Wahlen die Initiative ergriffen. Er ließ er im Parlament einen Antrag einreichen, um die Immunität von 43 Abgeordneten aufheben zu lassen. Sie sollen vor Gericht gestellt werden. Unter diesen Abgeordneten ist auch der Vorsitzende der größten Oppositionspartei CHP.

Eher noch gefährlicher für Erdogan könnte die Opposition innerhalb seiner Partei AKP sein. Noch ist unklar, ob sich die nach diesen Wahlen offen aus der Deckung wagt und gar eine eigene, neue Partei gründen wird.

Trotzdem: Dass dieses Wahlergebnis die Verhältnisse am Bosporus rasch ändern wird, sollte man nicht erwarten. Mehr als 4 Jahre lang wird nun in der Türkei nicht mehr gewählt. Jetzt werde man sich „auf die Arbeit konzentrieren“ und ein „Reformprogramm“ auflegen, verspricht Erdogan. Ein merkwürdiges Wort für jemanden, der seit 16 Jahren das Land regiert. Sicher ist nur: Alle, die jetzt schon darauf setzen, Tayyip Erdogan sei bald erledigt, kennen den türkischen Staatspräsidenten noch nicht.

(aktualisierter Artikel vom 1.4.2019)

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